Der lange Weg der Kaurischnecken
Vor etwa 7.000 Jahren entstanden erstmals städtische Siedlungen, die groß genug waren, um auch Spezialisten ernähren zu können. Töpfer, Köhler, Maurer, Schneider, Schuster, Schmiede, Zimmerleute und Schreiber sorgten dafür, dass sich Quantität, Qualität und Vielfalt der Güter nun rasant entwickeln konnten. Allerdings entstanden damit auch neue Probleme: Für einen Jäger war es nun nicht mehr möglich, den von ihm erlegten Hirsch einfach beim Töpfer gegen Tonwaren einzutauschen, wenn dieser drei Tagesmärsche entfernt wohnte und vielleicht gar keinen alten toten Hirsch brauchte, sondern Holzkohle für seinen Brennofen oder ein lebendes Schaf. Der einfache Tauschhandel, der für Jäger- und Sammlergesellschaften noch funktionierte, hatte eine praktische Grenze erreicht.
Eine naheliegende Lösung waren Zwischentauschmittel. Manche Güter wie Rinder oder Salz hatten einen universellen, weil an ihren praktischen Nutzen gebundenen Wert und wurden daher fast überall akzeptiert. Doch diese Tauschmittel waren schwer, teilweise vergänglich und mussten über große Entfernungen transportiert werden. Die Lösung des Problems ist eine der bis heute erstaunlichsten Erfindungen der Menschheit: Man sprach wertlosen Dingen einfach einen Wert zu. Sie mussten nur klein, beständig, transportabel und nicht beliebig vermehrbar sein, wie beispielsweise besondere Steine oder Muscheln. Die Akzeptanz eines völlig nutzlosen Gegenstands als Zahlungsmittel war eine reine Konvention aller Beteiligten, gegründet allein auf gegenseitigem Vertrauen. Ein Mythos, der nur deshalb Realität werden konnte, weil alle an ihn glaubten.
Die erstaunliche Effizienz eines Mythos
Manche Mythen sind von außerordentlicher Effizienz. In weiten Teilen Asiens und Ostafrikas etwa wurde das Gehäuse der Kaurischnecke zum universellen Zahlungsmittel und blieb es mancherorts bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Mit der Zeit entdeckten die Menschen, dass Edelmetalle wie Gold und Silber noch bessere Zwischentauschmittel waren als zerbrechliche, nicht teilbare und nicht fälschungssichere Steine, Muscheln oder Schneckengehäuse. Wie Salz und Rinder hatten die Metalle als Schmuckobjekte zudem einen eigenen Tauschwert, eine Eigenschaft, die das Vertrauen in das neue System enorm beförderte. Die ersten Münzen – das erste Geld im heutigen Sinne – entstanden im 7. Jahrhundert v. Chr., unabhängig voneinander in China, Indien und im östlichen Mittelmeerraum. Um 650 v. Chr. schlug das Volk der Lyder im Westen der heutigen Türkei das wahrscheinlich erste Hartgeld überhaupt: Kleine, runde, Metallstücke aus einer Gold-Silber-Legierung. Das Wichtigste aber war der aufgeprägte Löwenkopf, das Hoheitssymbol des Königs. Damit stand der Herrscher mit all seiner Macht symbolisch für den Wert der Münze ein. Das Zeichen wurde somit weitaus wichtiger als der Eigenwert des Metalls, der je nach Silberanteil in der Legierung ohnehin beträchtlich Schwankungen unterlag. Der Löwenkopf hatte aus der Konvention eine politische Garantie gemacht.
Alles über Geld - das sagt Aristoteles
Bereits 150 Jahre nach dem ersten lydischen Münzschlag fanden sich Geldprägestätten im gesamten Mittelmeerraum. Noch einmal 150 Jahre später war Geld überall in der antiken Welt eine Selbstverständlichkeit. Nur wenige andere Ideen dürften sich damals rascher durchgesetzt haben. Wenig überraschend kamen die ersten Menschen, die über das neue Phänomen nachdachten, aus Griechenland. Die Überlegungen, die Aristoteles in der „Nikomachischen Ethik“ zum Wesen des Geldes anstellt, sind die erste uns bekannte wirtschaftswissenschaftliche Theorie und könnten einem modernen Standardwerk der Ökonomie entstammen. In seinem fünften Buch über die „Gerechtigkeit“ beschreibt Aristoteles Geld als ein rein geistiges Konstrukt, das lediglich „kraft Übereinkunft“ besteht. Geld ist ein Gradmesser für die Intensität eines Begehrens. Es ermöglicht einen gerechten Tausch, weil es uns einen Vergleichsmaßstab für das relative Verhältnis unterschiedlicher Bedürfnisse liefert. Da es sich aufbewahren lässt, erlaubt Geld für künftige Bedürfnisse vorzusorgen. Und schließlich erkennt Aristoteles auch eine soziale Funktion, denn, so der Philosoph, „ohne solche Berechnung kann kein Austausch und keine Gemeinschaft sein“. In seiner „Politik“ warnt er davor, Geld zum Selbstzweck zu machen. Es soll den Menschen ein gutes Leben ermöglichen; wer es um seiner selbst willen hortet, gibt sich niedriger Gier hin. Daher ist es auch unredlich, für Geld Zinsen zu nehmen. Wichtiger als Reichtum ist vielmehr eine stabile Gesellschaft, die insbesondere von einer gerechten Verteilung des Wohlstands abhängt.
Machen Gold und Silber reich?
Dass der Eigenwert der Metalle die Zahlkraft der Münzen deckte, war eine wichtige Voraussetzung, um den Glauben an das abstrakte Tauschmedium zu etablieren. Dass während der Epoche der Römischen Kaiser die Münzen mit der Zeit immer kleiner und leichter wurden – ohne bemerkenswerterweise dabei an Kaufkraft zu verlieren – war in erster Linie Ausdruck einer zunehmenden Materialknappheit: Die Handelsbeziehungen wuchsen schneller als die Produktion der Edelmetalle.
Das römische Münzsystem überdauerte den Untergang des Reiches – noch zur Zeit Karls des Großen wurden Preise in Silberdenaren ausgedrückt. Doch wirtschaftlich war das mediävale Europa gegenüber dem Nahen Osten ins Hintertreffen geraten. Der florierende Handel mit dem Morgenland bewirkte einen stetigen Abfluss des Münzgelds, so dass das europäische Mittelalter über Jahrhunderte von einem chronischen Silbermangel geplagt war. (Einige Historiker sehen heute in der Beschaffung der knappen Metalle sogar eines der wichtigsten Motive für die Kreuzzüge.)
Dies änderte sich schlagartig, als die Spanier nach Entdeckung der Neuen Welt in Mexiko und Bolivien enorme Silbervorkommen fanden. Allein aus der bolivianischen Mine von Potosí wurden zwischen 1556 und 1783 45.000 Tonnen Silber gefördert und nach Spanien verbracht. Doch seltsamerweise brachte der Silberregen den katholischen Iberern keinen Reichtum.
Sie fielen, ganz im Gegenteil, mit der Zeit wirtschaftlich mehr und mehr hinter das protestantische England zurück und sahen sich gleichzeitig mit einer massiven Inflation konfrontiert. Ganz offenbar hatte der Reichtum einer Nation nichts mit der schieren Menge an Edelmetallen zu tun, die sich in ihrem Besitz befand.
Das Metall wird knapp
Die Kolonialisierung und ein rasch wachsender internationaler Handel ließen nun große Mengen an Gold- und Silbermünzen um den Globus fließen. Die gehandelten Gütermengen stiegen dermaßen, dass Zahlungen mit Münzgeld kaum noch praktisch handhabbar waren. Ab dem 17. Jahrhundert begann daher das Papiergeld nach und nach die Münzen abzulösen. Die psychologische Hürde, die dabei überwunden werden musste, war noch gewaltiger als bei der Einführung des Hartgelds. Was konnte die Menschen dazu bewegen, ihr wertvolles Gold und Silber gegen einen Fetzen Papier einzutauschen, vom dem der Staat beliebige Mengen herstellen konnte? Die Antwort auf diese schwierige Frage war die Einführung von Goldstandards. Die aufstrebenden Industrie- und Handelsnationen garantierten den Besitzern von Papiergeld, ihre Banknoten jederzeit zu einem festgelegten Wechselkurs gegen Edelmetall umtauschen zu können.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts hatten praktisch alle Industrienationen Goldstandards eingeführt. Das zwang sie entsprechend große Mengen des wertvollen Elements zu horten. Gold erhielt dadurch den faktischen Status einer übergeordneten Weltwährung. Tatsächlich aber fielen Anspruch und Wirklichkeit von Anfang an auseinander. Die Papiergeldmengen wuchsen immer rascher und mit dem aufblühenden Bankenwesen etablierte sich neben den Banknoten nun zunehmend auch reines Buchgeld. Der Geldbedarf war in einem solchen Umfang gewachsen, dass die nationalen Goldreserven praktisch nur noch einen kleinen Teil der im Umlauf befindlichen Geldmenge decken konnten. In Kriegs- und Krisenzeiten gaben zudem viele Staaten der Versuchung nach, einfach mehr Scheine zu drucken. Wie Jahrhunderte zuvor die spanische Silberflut, löste auch dieser Geldregen keine Probleme, sondern heizte lediglich die Inflation an. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs brach das System der Goldstandards zusammen. Zwei Wiederbelebungsversuche, jeweils nach den beiden Weltkriegen, scheiterten.
Seit Anfang der 1970er Jahre ist die Welt wieder bei den Kaurischnecken angelangt. Fast 3.000 Jahre lang hatten sich die Menschen der Illusion hingegeben, dass Geld selbst ein Gut sei. Doch Goldmünzen und nationale Goldreserven waren zu keiner Zeit etwas anderes gewesen als der Versuch einer vertrauensbildenden Maßnahme. Geld ist nichts Dingliches, sondern eine Idee, die den Güteraustausch erleichtert, ein Schmiermittel, das nur deshalb funktioniert, weil alle an es glauben. Was aber, wenn nicht Geld, macht eine Nation dann reich?
Die Antwort auf diese Frage kommt im nächsten Ökonomie-Blog…
Wer mehr wissen will:
Aristoteles (1975): „Die Nikomachische Ethik“, dtv.
Aristoteles (1994): „Politik“, Rowohlt.
Harari, Yuval Noah (2013): „Eine kurze Geschichte der Menschheit“, DVA.
Ferguson, Niall (2010): „Der Aufstieg des Geldes“, List.
Kaube, Jürgen (2017): „Die Anfänge von Allem“, Rowohlt.
Money makes the world go round aus dem Musical "Cabaret"
Selbst Bankleute wissen in der Regel nicht um die Analogie von a) Blut im Kreislauf vom Warmblüter und b) von Geld im Kreislauf der Wirtschaft. Grundfalsch ist es, beides anzuhäufen.