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Bausteine der Kommunikation (Teil 1):

 

Vom Denken zum Sprechen: Dimensionen der Semiotik

Sobald wir vom Denken, dem mentalen Dialog mit uns selbst, zur Kommunikation mit anderen wechseln, sollten wir unsere Gedanken dem Gegenüber möglichst eindeutig zum Ausdruck bringen. Die Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, wie wir uns anderen Menschen mitzuteilen suchen, ist die Semiotik, die Lehre von den Zeichen. Zu ihr gehören auch sämtliche Formen nichtverbaler Kommunikation, wie Mimik, Gestik oder Bildersprache. Der Teilbereich der Semiotik, der sich mit der gesprochenen oder geschriebenen Sprache befasst, ist die Allgemeine Linguistik. Das Wort Linguistik entstammt dem lateinischen Wort für Zunge. Deren Beweglichkeit ist allerdings nur eine unter vielen anatomischen Voraussetzungen für das Sprechen. Zusätzlich müssen Zwerchfell, Lunge, Stimmbänder, Luftröhre, Rachen- und Nasenraum, Mundhöhle, Zäpfchen, Zähne und Lippen auf sehr komplexe Art und Weise zusammenspielen, um Laute erzeugen und einfärben zu können.


Ein Porträt von Goethe im mittleren Alter
Der Geheimrat war ein Meister der Kommunikation

Diese hör- und messbaren Aspekte der Sprache sind Gegenstand der Phonetik. Um Vokale zu erzeugen, müssen die Stimmbänder vibrieren und der Mundraum offen sein. Der Ort der Tonerzeugung in der Mundhöhle wandert dabei in der Reihenfolge u, o, a, e, i von hinten nach vorne, jeweils unterstützt durch verschiedene Formung der Lippen. Konsonanten entstehen, wenn der Luftstrom in irgendeiner Form behindert wird. Die dabei erzeugten unterschiedlichen Luftwirbel charakterisieren den jeweiligen Laut. Schwingen die Stimmbänder bei verschlossenem Nasenraum, entstehen Sonaranten (m, n, l, r, j, w); andernfalls spricht die Phonetik von Obstruenten. Je nach Artikulation werden die Obstruenten in Plosive (explosionsartige Laute wie p, t, k), Frikative (zumeist Zischlaute wie s, f, z) und Affrikaten (eine Zwischenform von Plosiven und Frikativen, wie pf und ts) unterschieden.


Jede Sprache hat ihr charakteristisches Repertoire an Lauten. Das Deutsche etwa bedient sich im Vergleich zu anderen europäischen Sprachen sehr stark der Frikative und Plosive, die es zudem bevorzugt an Anfang und Ende vieler Wörter stellt, so dass Deutsch für Nichtmuttersprachler sehr hart klingt. Das Portugiesische kennt wiederum für jeden Vokal einen zusätzlichen Nasallaut. In einigen afrikanischen Sprachen finden sich Klicks, schnalzend-schmatzende Verschlusslaute.


Laute

Da Alphabete die Palette möglicher Laute nur näherungsweise wiedergeben, initiierte der französische Linguist Paul Passy in den 1880er Jahren ein Internationales Phonetisches Alphabet, in dem sich für alle bekannten Laute ein eigenes Zeichen findet.[i] So steht etwa das Zeichen ʃ für den Laut „sch“, ein stimmloser postalveolarer (das heißt direkt hinter dem Zahndamm erzeugter) Frikativ, wie in dem Wort „schnell“. ɔ̃​ ist ein gerundeter halboffener Hinterzungennasalvokal, wie er etwa in dem französischen Wort „chanson“ [ʃɑ̃ˈsɔ̃] vorkommt. ʘ​ steht für einen bilabialen Klick, einem kurzen mit beiden Lippen erzeugtem Schmatz.


Schematische Darstellung der verschiedenen Bausteine der Semiotik in einer Graphik
Dimensionen der Semiotik

Phoneme sind Laute, die unterschiedlich klingen, aber keine unterschiedliche Bedeutung haben. Mehrere Phoneme bilden zusammen Morpheme, die kleinsten Einheiten, die unterschiedliche Botschaften vermitteln. Ein oder mehrere Morpheme bilden ein Wort, mehre Wörter einen Satz.[ii] Morpheme, Wörter und Sätze bilden eine Begriffshierarchie von Sprachbausteinen, die sich sowohl formal als auch inhaltlich beschreiben lässt. Die formale Beschreibung setzt sich mit der grammatikalischen Funktion von Morphemen, mit Wortarten und der Syntax auseinander; hier geht es um die Regeln, nach denen Sätze gebaut werden können. Auf der inhaltlichen Ebene beschäftigt sich die Semantik mit der Bedeutung der einzelnen Sprachbausteine. Wörter und Sätze können aber auch etwas völlig anderes transportieren als das, was der reine Wortlaut kommuniziert. Mit diesen übertragenen Bedeutungen befasst sich die Pragmatik.


Das Wesen der Grammatik

Betrachten wir das System linguistischer Schlüsselbegriffe nach diesem ersten Überblick etwas näher. Unser heutiges Grammatikverständnis und viele der mit ihm verbundenen Begrifflichkeiten gehen auf den Griechen Dionysios Thrax zurück. Seine aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammende Grammatik des Griechischen war während anderthalb Jahrtausende das Standardwerk aller Griechisch-Schüler – eine Leistung von ähnlicher Langlebigkeit, wie die Geometrie seines Landsmanns Euklid.


ikonisches Bild eines Mannes aus der Antike mit goldenem Hintergrund
Dionysios Thrax: eine Ikone der Grammatik

Die beiden Kernbereiche einer jeden Grammatik bilden Syntax und Semantik.[iii] Die Syntax ist das Regelwerk, nach denen Zeichen kombiniert werden können. Für natürliche Sprachen sind dies vor allem die Prinzipien des Satzbaus, wobei Sätze für größere Sinneinheiten stehen. Meist geht es dabei um die Beschreibung von Zuständen und Vorgängen anhand von Subjekten, Objekten und Aktionen. Welche näheren Umstände dabei jeweils als wichtig angesehen werden, ist von Sprache zu Sprache verschieden. Im Deutschen etwa hängen die Regeln davon ab, welches Geschlecht dem Nomen zugeordnet ist, ob auf eine oder mehrere Personen Bezug genommen wird, ob die Person, über die gesprochen wird zuhört, in welcher gesellschaftlichen Beziehung man zum Gesprächspartner steht, wann etwas geschehen ist oder geschehen wird, ob etwas verglichen werden soll, ob man eine Wirklichkeit oder eine Möglichkeit beschreibt, ob man etwas befiehlt, wie die Besitzverhältnisse organisiert sind oder ob jemand etwas aktiv ausführt oder passiv erleidet.

Viele dieser Kriterien finden sich auch in anderen Sprachen, aber es zeigen sich sofort auch Unterschiede: Im Englischen werden Nomen nicht nach Geschlecht unterschieden; im Französischen hängen manche Syntax-Regeln, anders als im Deutschen, davon ab, ob eine männliche oder eine weibliche Person spricht; das Lateinische kennt gegenüber dem Deutschen zwei zusätzliche Fallunterscheidungen, bei denen das Nomen an den Fall angepasst werden muss; das Türkische kennt ebenfalls sechs Fälle, wobei sich ein Fall wiederum vom Lateinischen unterscheidet; Sprachen wie Arabisch oder Isländisch kennen – anders als das Deutsche, das nur Einzahl und Mehrzahl kennt – auch eine Zweizahl; das Arabische unterscheidet zudem bei der Mehrzahl, ob es sich um eine kleine oder große Menge handelt; während in den indogermanischen Sprachen die typische Satzstellung Subjekt – Verb – Objekt lautet, ist die Reihenfolge von Verb und Objekt im Türkischen und Japanischen vertauscht; das Chinesische kennt Verben nur im Infinitiv; das Lateinische kennt keine Artikel, dafür aber zwei verschiedene Formen des Imperativs; manche Sprachen, wie das Finnische, kennen kein Futur. Die Möglichkeiten, Weltbeschreibung verbal zu strukturieren erscheinen praktisch unbegrenzt.



Die Fünf-Wortarten-Lehre: Deutsche Grammatik für Dummies

Ein Modell, mit dem sich die syntaktischen Regeln der deutschen Sprache grob klassifizieren lassen, ist die Fünf-Wortarten-Lehre, die auf den Schweizer Linguisten und Germanisten Hans Glinz zurückgeht. Das erste Kriterium ist die Frage, ob das Wort flektierbar ist, also angepasst (gebeugt) werden muss oder nicht, wobei die Anpassungen in konjugierbar und deklinierbar unterschieden werden.[iv] Von Konjugation spricht man, wenn das gebeugte Wort ein Verb ist. Verben sind Wörter der Aktion: „Im Anfang war die Tat“, sagt Faust, den Goethe die Worte des Johannes-Evangeliums weiterspinnen lässt. Nur in wenigen Fällen („stehen“, „liegen“) beschreiben Verben Zustände, also das Gegenteil von Aktion. Verben sind im Deutschen die flexibelsten und damit grammatischsten aller Wörter: Sie klären uns darüber auf wo wir uns auf dem Zeitstrahl befinden (Tempus), ob wir von uns selbst, dem Gegenüber oder unbeteiligten Dritten sprechen (1., 2., 3 Person), ob diese drei Personen jeweils nur aus einem oder mehreren Individuen bestehen (Singular und Plural), ob etwas getan oder erduldet wird (Aktiv und Passiv) und welches Verhältnis zur Realität wir zu Grunde legen (Modus der Wirklichkeit: Indikativ „so ist es“; Modus der Möglichkeit: Konjunktiv „so könnte es sein“; Modus der Aufforderung: Imperativ „so soll es sein“).

Nomen (Hauptwörter) sind Ausdrücke der Dinglichkeit. Materielles, an dem man sich wie Tisch oder Bett tatsächlich stoßen kann oder Übertragenes, wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, über deren Wesen sich trefflich streiten lässt. Ihre Anpassung wird, wie für alle veränderbaren Wörter, die keine Verben sind, als Deklination bezeichnet. Im Deutschen werden Nomen nach dem Kasus (Fall), Numerus (Zahl) und Genus (Geschlecht) angepasst. Die Fälle (Nominativ, Genetiv, Dativ, Akkusativ) klären, in welcher Beziehung (wer oder was? – wessen? – wem? – wen oder was?) das Nomen zu anderen Satzelementen steht. Nicht nur das Nomen selbst unterliegt dem Anpassungszwang, sondern auch sein Begleiter, der dazugehörige Artikel (der Mann, des Mannes, dem Mann, den Mann). Das Deutsche kennt hier einige haarspalterische Fallunterscheidungen, die den meisten anderen Sprachfamilienmitgliedern fremd sind: Geht es um eine Bewegung, kommt der Akkusativ zum Zug: Ich stelle das Glas auf den Tisch. Fehlt die Aktion, verlangt die statische Situation den Dativ: das Glas steht auf dem Tisch.

 

Eine Graphik, die die fünf im Text erklärten Wortarten in Form eines Organisationscharts darstellt
Dem Schweizer Hans Glinz verdanken wir dieses schöne Fünf-Wortarten-Schema

 

Adjektive (Eigenschaftswörter) sind Beurteilungen. Sie beschreiben wie etwas beschaffen ist oder welche Beziehungen zwischen Nomen herrschen (der kleine Ring, die nahe Verwandte). Adjektive werden ebenfalls an den Kasus des Nomens angepasst (des kleinen Ringes, der nahen Verwandten) und lassen sich in den meisten Fällen in zwei weiteren Schritten, Komparativ und Superlativ, steigern: klein, kleiner, am kleinsten; nah, näher am nächsten. Pronomen (Fürwörter) sind Stellvertreter oder Begleiter. Sie lassen sich nicht steigern. Als Personalpronomen springen sie kontextabhängig für Menschen und Sachen ein (er ist klein), klären als Possessivpronomen Besitz- oder Zugehörigkeitsverhältnisse (mein Haus, ihre Schwester), weisen als Demonstrativpronomen (dieser, jener, der, die, das) auf etwas hin, erlauben als Reflexivpronomen (mich, dich, sich) einen Selbstbezug oder leiten als Relativpronomen (jener, welcher, der, die, das) Teil- oder Nebensätze ein. Hat das Pronomen keine Stellvertreter- sondern eine Begleiterfunktion, muss es im Deutschen nicht nur nach Genus und Numerus, sondern zusätzlich auch nach dem Kasus des Nomens angepasst werden (diese Frau will dieses Kind adoptieren; diese Frau will diesem Kind etwas schenken). Partikel haben gegenüber allen bisherigen Wortarten den Vorzug, dass sie sich nie verändern. Als Adverbien (Umstandswörter), können sie Verben, aber auch Substantive, Adjektive oder andere Adverbien näher bezeichnen (die Frau geht schnell). Konjunktionen (Bindewörter) wie „und“ „oder“ oder „weswegen“ schlagen Brücken zwischen Satzteilen, während Präpositionen räumliche und zeitliche Beziehungen (an, neben, bei zu), Ursachen (aufgrund, infolge) oder eine Art und Weise (einschließlich, mitsamt) klären. Interjektionen sind Partikel, die oft alleine stehende lautmalerische Ausdrücke von Gemütsbewegungen oder Aufforderungen zum Ausdruck bringen (ach!, pst!).[v] 


Diese mögliche Einteilung und die beispielhaft genannten Regeln gelten wohlgemerkt so nur für das Deutsche. Andere Sprachen, andere Regeln! Da im Chinesischen weder Verben konjugiert noch Nomen durch den Plural verändert werden und ein chinesischer Satz mühelos auf Konjunktiv, Artikel und Verb verzichten kann, sehen hier Wortarten-Strukturbaum, Syntaxregeln und andere Bausteine der Kommunikation völlig anders aus.

 

 

 

Wer mehr wissen will:

McWhorter, John (2004): „The Story of Human Language”, Vorlesungsskript.

Glinz, Hans: (1982): „Die innere Form des Deutschen. Eine neue deutsche Grammatik“, Francke.


Fußnoten

[i] Da es mehr Phoneme als Buchstaben gibt, kann dieselbe Zeichenfolge für ganz unterschiedliche Laute stehen: Das „ch“ in „Nacht“, ist ein anderes als das der „Milch“, der „Achse“ oder der „Chips“.

[ii] In vielen Fällen kann auch ein einzelnes Morphem bereits ein Wort darstellen (Boot, rot, tot). Das Wort „entmachten“ besteht aus drei Phonemen (ent, macht, en) denen jeweils eine unterschiedliche Bedeutungen oder grammatikalische Funktion zukommt.  

[iii] Die Linguistik kennt keine einheitliche Definition des Begriffs Grammatik. Unstrittig ist nur die Zugehörigkeit von Morphologie und Syntax.  

[iv] In den indogermanischen Sprachen ist in den letzten zweitausend Jahren ein Trend zu weniger Flexionen erkennbar – besonders deutlich wird dies im Englischen. Tote Sprachen dieser Familie wie Latein, Altgriechisch oder Sanskrit zeigen deutlich mehr Flexionsvarianten. Unter den heutigen indogermanischen Sprachen sind neben dem Deutschen vor allem die slawischen Sprachen noch stark flektierend.

[v] In manchen Wortarten-Modellen werden auch Artikel und Numeralia (Zahlwörter) als eigene Kategorien geführt.

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1 Comment


jotfried
Aug 19

 "Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, 

   aber ein Reim mehr als 1000 Bilder". 


Auf jeden Fall zeigt dies Gedicht: 

Immer noch gilt  ES  W E R D E  LICHT

für den, der es liest oder hört 

und der Dunkelheit abschwört.


Außerdem, dieses Spiel mit Worten

zeigt perfekt allerorten

in allen Sprachen und jeder Sache. 

Reime leuchten, egal, wer sie mache.


Wo aber noch die Wahrheit gilt, 

dass du dir machen sollst kein Bild, 

bringt Geist zustande insgeheim, 

dass noch mehr Geist geht – per Reim.


Der Unterschied von Lehm und Geist, 

der auch Atem Gottes heißt, 

der macht sich in Wirklichkeit 

zwischen Reim und Prosa breit.


So betrachtet durch die Wahrheitsbrille 

geschieht Schöpfung durch Wort und Wille, 

weil Geist ist reine Energie

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