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AutorenbildJens Bott

Die Ursprünge der Physik

Aktualisiert: 4. Juni


Himmlische Anfänge

Für die frühen Bauerngesellschaften war es überlebenswichtig, den Rhythmus der Jahreszeiten zu verstehen. Mit der Zeit lernten sie, dass Sommer- und Wintersonnenwenden sowie Tagundnachtgleichen einem bestimmten Muster folgten, dass sich, wie wir letzte Woche gesehen haben, mit Mathematik beschreiben ließ. Die Muster ergaben sich durch genaue Beobachtung der Bewegungen, die Sonne, Mond und Sterne am Firmament vollzogen.


Ein Bild eines antiken Astronomen, der mit einem Teleskop den Sternenhimmel betrachtet
Teleskope standen den antiken Astromomen, entgegen dieser Darstellung, noch nicht zur Verfügung

Die frühen Hochkulturen im Fruchtbaren Halbmond hatten daher bereits ein weit entwickeltes Verständnis von Astronomie und Himmelszyklen. Möglicherweise unterschieden sie bereits die Planeten von den Sternen. Die Ersten, von denen wir dies sicher wissen, waren die Griechen: Es gibt jene Himmelskörper, die sich gemeinsam starr durch den Nachthimmel bewegen und jene fünf Objekte, deren Wanderungen offenbar anderen Regeln folgt. Diese Auffälligkeit veranlasste sie, die fünf Planeten nach ihren Göttern zu benennen. Die irdische Ordnung fasste der Philosoph Empedokles zusammen. Für ihn war alles, was auf der Erde geschah, ein komplexes Zusammenspiel von lediglich vier Elementen: Erde, Wasser, Luft und Feuer.


Im 4. Jahrhundert v. Chr. erschuf Aristoteles daraus ein geschlossenes physikalisches Weltbild. Demnach ist der natürliche Zustand eines Körpers die Ruhe. Ruhepol des Universums ist die sich im Zentrum befindliche Erde, die von Sonne, Mond und Planeten auf vollkommenen Kreisbahnen umlaufen wird; sowohl die Himmelskörper als auch der Kosmos selbst sind vollkommene, unveränderliche und ewig währende Kugeln. Alles, was am Himmel geschieht, ist Ausdruck einer absoluten, göttlichen Ordnung. Dementgegen ist alles Irdische einem ständigen Wandel unterworfen, denn die vier Elemente sind unablässig der Wirkung zweier Kräfte ausgesetzt: Die Schwerkraft lässt Erde und Wasser fallen; die Auftriebskraft erlaubt es Luft und Feuer, aufzusteigen. Nach Aristoteles‘ Überzeugung haben Luft und Feuer kein Gewicht, während die Schwerkraft Körper aus Erde und Wasser umso schneller fallen lässt, je schwerer sie sind. Diese Betrachtung enthielt bereits die beiden grundlegenden Komponenten der Welt: Materie und die auf sie wirkenden Kräfte.


Ein idealisertes Bild des griechischen Astronomen Ptolemäus mit einem astronomischen Instrument
Ob er wirklich so aussah? Der antike Astronom Ptolemäus

Im 2. nachchristlichen Jahrhundert verfeinerte der Gelehrte Ptolemäus die antike Vorstellung der Himmelsmechanik weiter: Die Fixsterne waren am Gewölbe einer riesigen Hohlkugel aufgehängt. Darunter bewegten sich Sonne, Mond und Planeten in perfekten konzentrischen Kreisbahnen um die Erde und erzeugten dabei eine himmlische Musik. Goethe bezieht sich im Prolog des ersten Teils des Faust auf dieses antike Weltbild: „Die Sonne tönt nach alter Weise; In Brudersphären Wettgesang; Und ihre vorgeschriebne Reise; Vollendet sie mit Donnergang“. Tatsächlich lebt diese alte Vorstellung bis heute fort: Wir sagen noch immer „die Sonne geht unter“, und nicht, was eigentlich richtig wäre, „der Horizont hebt sich“.

 

Die Entdeckung des Planeten Erde

Das antike Weltbild war so robust, dass es rund 1800 Jahre lang Bestand haben sollte. Das war insofern nicht verwunderlich, als das zugrunde liegende Modell sich mit dem, was die Menschen dem Augenschein nach beobachten konnten, in hohem Maße deckte und darüber hinaus auch zuverlässige Prognosen künftiger Ereignisse wie Mond- und Sonnenfinsternisse lieferte. Doch 1543 wurde diese alte Gewissheit erschüttert. Nikolaus Kopernikus (1473-1543), Domherr und Astronom zu Frauenburg in Ostpreußen hatte in seinem Todesjahr eine Schrift veröffentlicht, in der er zu dem Schluss kam, dass sich die Himmelsereignisse ebenso gut erklären lassen, wenn man die Sonne in den Mittelpunkt des Universums stellt und der Erde lediglich die Rolle eines weiteren Planeten zuweist, dessen Rotation die Illusion einer scheinbaren Bewegung der Fixsterne hervorruft.


Eine schw
Visionärer Kirchenmann: Nikolaus Kopernikus

Kopernikus hatte bis kurz vor seinem Tod mit der Veröffentlichung gezögert. Er befürchtete nicht etwa, durch die mögliche Verbannung des Menschen aus dem Zentrum des Kosmos den Unmut der Kirche auf sich zu ziehen – seine Bischöfe und Kardinäle hatten den Domherrn ganz im Gegenteil zur Veröffentlichung seiner Hypothese sogar ermuntert. Er fürchtete vielmehr die Kritik der anderen Astronomen. Deren Skepsis war nicht unbegründet, denn Kopernikus konnte für seine Mutmaßung keinerlei Beweise liefern. Zudem legten seine Observationen nahe, dass die Planetenbewegungen nicht den perfekten aristotelischen Kreisbahnen entsprachen. Der wichtigste Kritikpunkt aber war, dass ein Planet Erde sich mit einer unfassbar hohen Geschwindigkeit durch das All bewegen müsste, obwohl er doch ganz augenscheinlich ein ruhendes System war und niemand irgendwelche Bewegungen wahrnehmen konnte.


Ein Portrait aus dem 16. Jahrhundert des dänischen Astronomen Tycho Brahe mit großem Schnurrbart
Engagierter Datensammler: Tycho Brahe

Zu den prominenten Gegnern des neuen Weltbildes gehörte auch der dänische Astronom Tycho Brahe (1546-1601). Brahe war ein so leidenschaftlicher Verteidiger seiner Überzeugungen, dass er als Student bei einem Duell um die Richtigkeit einer mathematischen Formel einen Teil seiner Nase eingebüßt hatte. Der hitzköpfige Däne war in seiner wissenschaftlichen Herangehensweise allerdings ausgesprochen strukturiert. Jahrzehntelang hatte er die für ihn mit bloßen Auge beobachtbaren Vorgänge am Himmel akribisch aufgezeichnet. Aus seinen Daten entwickelte er ein eigenes Weltbild, eine Art Kompromiss zwischen dem antiken aristotelisch-ptolemäischen Modell und der kopernikanischen Betrachtung. Demnach war nach wie vor die Erde das fixe Zentrum des Universums; die Planeten drehten sich um die Sonne und die Sonne drehte sich um die Erde. Heute mutet uns diese Vorstellung absurd an. Tatsächlich aber deckte sich diese Theorie mit den damals möglichen Beobachtungen besser, als das von Kopernikus vorgeschlagene Modell.

 

Ein neues Weltbild

Ausgerechnet Brahes detaillierte Aufzeichnungen sollten letztlich maßgeblich dazu beitragen, das kopernikanische System durchzusetzen. Die Datensammlung erlaubte es seinem Assistenten und Nachfolger als kaiserlicher Hofmathematiker in Prag, Johannes Kepler (1571-1630), den Ansatz des Nikolaus Kopernikus noch einmal neu zu betrachten. Nach vieljähriger Arbeit gelang ihm schließlich der Durchbruch. Die Veröffentlichung der „Astronomia Nova“ 1609 war das definitive Ende geozentrischer Weltbilder und der Anfang vom Ende der antiken Vorstellung eines perfekten Himmels. Nachdem er die Idee zunächst als zu einfach verworfen hatte, kam Kepler nach langem Hin und Her zu der Erkenntnis, dass sich die Planeten nicht auf kreisförmigen, sondern elliptischen Bahnen um ihren Fixstern bewegen mussten. Der Umlauf war zudem kein gleichförmiger, sondern verlief umso schneller, je näher sie der Sonne waren.


Ein Gemälde des Astronomen Johannes Kepler. Links von ihm steht ein Globus auf einem Tisch mit einer roten Tischdecke
Er erst machte aus der Erde wirklich einen Planeten: Johannes Kepler

Die Entdeckungen des Planeten Erde ist ein Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte. Keplers Leistung ist gewaltig: Die elliptischen Bahnen der Himmelskörper waren mit bloßem Auge nicht von einem Kreis zu unterscheiden. Dem Astronomen standen weder Infinitesimalrechnung noch Teleskope als Hilfsmittel zur Verfügung; die durch die Planetenbahn beschriebenen Flächen musste er von Hand errechnen.

Der erste Sternenkundige, der mit Teleskopen arbeitete, war vermutlich Keplers Zeitgenosse Galileo Galilei (1564-1642). Was sich ihm dank der neuen Instrumente offenbarte, zerstörte die noch verbliebenen Überreste der antiken Vorstellung eines perfekten Himmels: Sonne und Mond waren keine vollkommenen Kugeln, zudem mit hässlichen Flecken bedeckt oder von Kratern übersäht. Galileos Entdeckung der Jupitermonde war ein weiterer Beweis, dass die Erde nicht im Zentrum aller kosmischen Bewegung stand. Noch bedeutsamer aber war die Erkenntnis, dass auch die überkommenen Lehren der irdischen Mechanik unhaltbar waren: Bei seinen Experimenten in Pisa hatte Galilei festgestellt, dass verschiedene Gegenstände, ganz gleich wie viel sie wogen, grundsätzlich immer gleich schnell zu Boden fallen; dass sich dennoch bei vielen Objekten Unterschiede beobachten ließen, erklärte Galilei mit verschiedenen Luftwiderständen. Damit waren die Behauptungen des Aristoteles widerlegt, dass schwere Körper schneller fallen als leichte und dass Luft kein Gewicht habe.


Ein Portrait des italienischen Astronomen Galileo Galilei aus dem 17. Jahrhundert
Gab der Vorstellung von einem perfekten Universum den Rest: Galileo Galilei

Da Galilei das kopernikanische Weltbild nicht als bloße Hypothese, sondern vehement als Tatsache darstellte, ohne dafür einen Beweis liefern zu können, geriet er in Konflikt mit der katholischen Kirche, die Beweise forderte, die der Gelehrte aber nicht liefern konnte. So wurde er schließlich gezwungen, seine Behauptung öffentlich zu widerrufen, für Galilei die einzige Möglichkeit, der Inquisition zu entgehen. Der große italienische Astronom und Physiker starb 1642 nach neunjährigem Hausarrest. Fast auf den Tag genau ein Jahr später wurde in einem winzigen Dorf im Osten Englands der Bauernsohn Isaac Newton geboren…

  

Weiterführende Literatur:

Hawking, Stephen (1988): „Eine kurze Geschichte der Zeit“, Rowohlt.

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