Ein Sprachengenie
William Jones, Sohn eines walisischen Mathematikers, war mit einer außerordentlichen Sprachbegabung gesegnet; am Ende seines Lebens soll er 28 Sprachen beherrscht haben. Schon während seiner Schulzeit lernte er neben dem üblichen Griechisch und Latein, auch noch Arabisch und Persisch. Seine Berufung 1783 zum Richter am Obersten Gericht von Bengalen in Kalkutta, bot ihm nun auch die Gelegenheit, sich mit Sanskrit, der klassischen Gelehrtensprache Indiens vertraut zu machen. 1786 veröffentlichte Jones einen Aufsatz, in dem er einen gemeinsamen Ursprung von Sanskrit, Latein, Griechisch, Persisch, Gotisch und den keltischen Sprachen behauptete.
Jones war nicht der erste, der auf die Idee kam, dass geographisch entfernte Sprachen untereinander verwandt sein könnten. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts hatte der niederländische Gelehrte Marcus Zuerius van Boxhorn diese These vorweggenommen. Doch erst Jones‘ Veröffentlichung erregte breiteres Interesse. Bald wurde klar, dass so verschiedene Sprachen wie Walisisch, Bulgarisch, Litauisch, Schwedisch, Armenisch, Kurdisch oder Hindi tatsächlich einen gemeinsamen Ursprung hatten. Sie alle gehören einer Gruppe an, die wir heute als indogermanische oder indoeuropäische Sprachfamilie bezeichnen. Fast jeder zweite Mensch auf der Erde spricht heute eine ihrer Sprachen.
Sprachfamilien
Indogermanisch ist jedoch nicht die einzige große Sprachfamilie. Neben ihr existieren unter anderem die semito-hamitischen Sprachen, zu denen Arabisch, Hebräisch, Aramäisch, das ausgestorbene Altägyptisch und Somali gehören; die Turksprachen die insbesondere Türkisch, Turkmenisch, Kasachisch und Usbekisch umfassen, und die sinotibetischen Sprachen, mit ihren verschiedenen chinesischen Dialekten, Tibetisch und Birmanisch.
Als außerordentlich schwierig hat sich bisher der Versuch erwiesen, einer möglichen Verwandtschaft der großen Sprachfamilien untereinander auf die Spur zu kommen. Eine hypothetische, unter Sprachforschern aber nach wie vor umstrittene Makrofamilie ist Nostratisch, das neben den indogermanischen und semito-hamitischen Sprachen auch die Turksprachen sowie Japanisch und Koreanisch umfassen soll.
Beziehungen und Veränderungen
Einer der wichtigsten Betrachtungsgegenstände der vergleichenden Sprachforschung sind Kognate. Kognate sind Wörter, die auf ein gemeinsames Ursprungswort zurückgehen und es daher erlauben, die Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb einer Sprachfamilie zu analysieren. Ein grundlegendes Instrument ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung von Lautverschiebungen, eine Technik, die auf Jakob Grimm, den älteren der Gebrüder Grimm zurückgeht.
Deutsch | Englisch | Französisch | Spanisch | Latein | Tschechisch | Persisch | Sanskrit |
Mutter | mother | mère | madre | mater | matka | mādar | mātr |
Vater | father | père | padre | pater | otec | pedar | pitr |
Flamme | flame | flamme | Ilama | flamma | plamen | šo'le | agni |
Sonne | sun | soleil | sol | sol | sluneční | xoršid | sūrya |
Wasser | water | eau | agua | aqua | voda | āb | jala |
drei | three | troi | tres | tres | tři | se | trayaṁ |
Kognate indoeuropäischer Sprachen im Vergleich
(Regler nach rechts verschieben, um alle Sprachen zu sehen)
Lautverschiebungen beschreiben die gesetzmäßige Umwandlung von Konsonanten und Vokalen, die sich bei vielen Sprachen über längere Zeiträume beobachten lassen. Grimm formulierte 1822 das nach ihm benannte Gesetz der ersten Lautverschiebung. Es beschreibt, wie sich der Zweig der germanischen Sprachen (von denen heute noch Englisch, Deutsch, Niederländisch, Friesisch, Afrikaans, Schwedisch, Dänisch, Norwegisch und Isländisch gesprochen werden) durch den Austausch einiger Konsonanten von den übrigen indoeuropäischen Sprachen absetzte. Der Wandel muss etwa 300 v. Chr. abgeschlossen gewesen sein, noch bevor Römer und Germanen miteinander in Kontakt traten, da lateinische Lehnwörter im Germanischen die Verschiebungen nicht vollzogen haben.
Zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert kam es innerhalb der germanischen Sprachen zu einem weiteren Konsonantentausch, der zweiten Lautverschiebung, in deren Folge das Hochdeutsche entstand. Die anderen germanischen Sprachen, einschließlich dem Niederdeutschen, folgten dieser Verschiebung nicht (Eine Ausnahme stellt die Verschiebung von „th“ nach „d“ dar, die sich auch im Niederländischen und Niederdeutschen vollzog).
Durch die Analyse von Lautverschiebungen lassen sich relative Verwandtschaftsgrade zwischen Sprachen bestimmen und wahrscheinliche Urlaute der gemeinsamen Vorgängersprache rekonstruieren, auch wenn bei letzterem vieles spekulativ bleibt. So wie die geographische Isolation durch Mutation und Selektion in der Biologie neue Arten hervorbringt, lässt sie durch Lautverschiebungen neue Sprachen entstehen.
1853 stellte der Linguist August Schleicher die Verwandtschaftsbeziehungen der indogermanischen Sprachen in Form einer Baumstruktur dar, sechs Jahre bevor Darwin dieselbe Metapher für die Abstammungslinien der Arten wählte.
Wie in der biologischen Evolution können Informationen aber auch horizontal transferiert werden. So hat etwa jedes vierte deutsche Wort einen fremdsprachlichen Ursprung. Straße, Keller, Nase, Wein oder Armbrust sieht man es nicht unbedingt an, dass sie aus dem Lateinischen entlehnt sind. Nach Latein haben Griechisch, Englisch und Französisch im heutigen Deutsch die meisten Spuren hinterlassen.
Sprachen sind, als lebendige Gebilde, auch untereinander fortpflanzungsfähig; aus Begegnungen können neue Sprachen entstehen. Beispiele für solche Pidgin- oder Kreolsprachen sind die „Lingua franca“, die im Mittelalter im Mittelmeerraum als Handelssprache aus romanischen Sprachen und dem Arabischen hervorging, oder das auf Haiti gesprochene Kreolisch, eine Mischung aus Französisch mit verschiedenen westafrikanischen, spanischen und indianischen Elementen.
Die Herkunft der Wörter lehrt uns alte Weltsichten
Sprachen entwickeln sich nicht nur durch Lautverschiebungen und die Aufnahme neuer Wörter, auch die Bedeutung des überlieferten Wortschatzes entwickelt sich laufend fort. Mit diesem Bedeutungswandel, der uns oftmals das Verständnis alter Texte erschwert, befasst sich die Etymologie. Vor 2.000 Jahren bezeichnete „Tier“ alle im Wald lebenden, also wilden Tiere – im Gegensatz zu „Vieh“, den domestizierten Nutztieren. Die Bedeutung „Wildtier“ ist im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen. Im Deutschen wurde der Begriff auf alle Tiere erweitert, während er sich im Englischen mit „deer“ auf Hirsche einengte. Das deutsche „Vieh“ wiederum hat den gleichen Ursprung wie das englische Wort „fee“, das heute Gebühr oder Entgelt bedeutet – Nutztiere waren früher eine gängige Verrechnungseinheit für Handelsgeschäfte. Das gemeingermanische Ursprungswort „fehu“ geht gemäß den Regeln der ersten Lautverschiebung auf das indogermanische Wort „peku“ zurück, das Schaf bedeutet und somit auch die Herkunft des lateinischen Wortes für Geld „pecunia“ erklärt. Die indogermanische Wurzel von Tier, „dheu“, bedeutete ursprünglich so viel wie „schnauben“, oder „atmendes Wesen“. Diese Vorstellung findet sich auch in dem lateinischen Wort „anima“ wieder, das beseelte, also mit Lebenshauch versehene Wesen bezeichnet. Aus ihm leitet sich sowohl das lateinische, französische und englische Wort für Tier „animal“ als auch das lateinische und französische Wort für Seele „anima“, „âme“ her. Die Etymologie lehrt uns daher auch viel über Weltsichten und Wirklichkeiten unserer Vorfahren.
Sprachuniversalien sind rar
Trotz zahlreicher Bezüge innerhalb der einzelnen Sprachfamilien gibt es kaum Universalien, also Eigenschaften, die alle Sprachen miteinander teilen. Der gemeinsame Nenner umfasst nur einige wenige Feststellungen wie: Alle Sprachen haben Konsonanten und mindestens zwei Vokale, kennen Eigennamen, eine 1., 2. und 3. Person und verfügen über ein Intonationssystem, bei dem sich mit der Stimmhöhe auch die Bedeutung verändert (Im Deutschen etwa kann jedes Wort als Frage intoniert werden, indem man die Stimme am Wortende hebt.) Aussagen wie „in jeder Sprache gibt es Verben und Substantive“ sind bereits umstritten. Bestimmte Formen, etwa die Satzstellung „Subjekt-Verb-Objekt“ treten zwar sehr häufig auf, doch es finden sich auch Beispiele für alle sonst denkbaren Anordnungsmöglichkeiten. Wer im Sprachvergleich Grundkonstanten der menschlichen Existenz sucht, wird enttäuscht. Der Mangel an absoluten Sprachuniversalien zeigt, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, die Welt zu sehen und zu beschreiben. Eine Fremdsprache zu beherrschen, gibt daher auch stets Einblick in eine andere Weltsicht. Von Karl dem Großen soll das Zitat stammen: „Eine andere Sprache zu können, ist wie eine zweite Seele zu besitzen.“
Die Vielfalt der Sprachen: Ein Artensterben der besonderen Art
Von den rund 15.000 Sprachen, die im 16. Jahrhundert noch auf der Welt gesprochen wurden, haben bis heute nur 6.000 bis 7.000 überlebt; etwa die Hälfte von ihnen wird, Schätzungen der Linguisten zufolge, in den nächsten 100 Jahren aussterben. Die Vielfalt der Sprachen nimmt also rapide ab. Der Sprachentod ist eine Folge der Globalisierung, doch mit jeder dieser Sprachen stirbt ein ganzes Universum, eine einzigartige Weise, die Welt zu beschreiben.
Wer mehr wissen will:
Eco, Umberto (1994) „Die Suche nach der vollkommenen Sprache“, Beck.
Rauchhaupt, Ulf von (2016): „Sprechen Sie Nostratisch?“ in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Online vom 15.06.2016.
L E B E N S G E F A H R
Ein Wort, dass mich seit Jahren schon
mächtig fasziniert,
das wird in jedem Lexikon
echt falsch interpretiert.
Es handelt sich um "Lebensgefahr".
Wer hat sich wohl was dabei gedacht,
dass dieses Wort – nur buchstäblich zwar –
war für was anderes gemacht ?
Man sieht es diesem Wort nicht an,
das uns kann was geschehn,
wenn wir nicht mit viel Elan
der Gefahr entgehn.
Es zeigt uns an ganz herrlich
– und ohne wenn und aber –
Leben selbst ist lebensgefährlich,
auch wenn das klingt makaber.
Die Wahrheit lautet klipp und klar,
dass lebendiges Leben
ist für die Ruhe totale Gefahr,
die einst toten Atomen war gegeben.
"Es…
Zu "Sprache" gibt's 'ne Steigerung
von Prosa per Reim zum Gedicht,
es sei denn, Verweigerung
löscht aus dieses Licht.
Es ist exakt ein Quantensprung,
der Reim von Prosa trennt,
doch macht er jeden wieder jung,
der genau dies nicht verpennt.
Was bei uns Bewusstsein heißt,
ist ein Abglanz vom Heiligen Geist,
wobei "Wissenschaftler" zumeist
leugnen -- mehr als dreist --
w e r ihnen w a s ins Hirn rein-schmeisst.
"Am Anfang war das Wort"
bestimmt hier reimlich,
dass die Bibel ist der Ort
vom Urknall – heimlich.
Betrachtet durch die Wahrheitsbrille
macht Sprache offenbar,
dass und wie Gottes Wille
Anlass für den Urknall war.
Kurz und knackig knallt er ständig
sprachlich uns ins Hirn hinein
und sorgt damit eigenhändig,
dass wir begreifen den SINN vom SEIN.
Das "Instrument Sprache" hat es in der Tat "in sich". Geistig nämlich. Sie formt Vielfalt zur Einheit. Wenn wir zusätzlich achten auf die phänomenale Zeitverschiebung zwischen Sprech- und Schrift-Sprache, entpuppt sich SPRACHE als Schlüssel für noch erheblich mehr als nur Kommunikationsmittel zu sein. Sie beweist sich als Hebelarm, den Willen als substanzielle Energie des Geistes gebrauchsfähig einzusetzen.
Ein (aus meiner Sicht) witziger Unterschied zwischen Sprechsprache und Schriftsprache wird deutlich im betrachten dieses Satzes aus zehn Wörtern:
Ich habe nicht gesagt, dass du diesen Koffer stehlen sollst.
Je nachdem, auf welches Wort die Betonung gelegt wird, verändert sich die Satzaussage. (Ludwig Reimers)