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AutorenbildJens Bott

Locke, Montesquieu, Rousseau, Burke: Freiheit, Gleichheit, Gewaltenteilung

Aktualisiert: 29. Aug.

Eine kurze Übersicht über die politische Philosophie der Aufklärung


 

John Locke will weniger Staat

Die absolutistischen Monarchien, die sich in Europa nach dem Ende des Englischen Bürgerkriegs und des Dreißigjährigen Kriegs etablierten, setzten zwar das Gewaltmonopol durch, griffen aber auch mit ihrer autokratischen Machtfülle zunehmend in das Leben der Menschen ein. Der französische König Ludwig XIV wurde zur Verkörperung dieses Staatsverständnisses. Der absolutistische Staat übte Zensur, regelte den Zugang zu Bildung und zahlreichen Berufen, baute einen umfangreichen Beamtenapparat auf, verhinderte Kontrollinstanzen, die seine Machtfülle hätten beschränken können und stellte sich selbst über das Gesetz.


Portrait von Ludwig XIV mit Allongeperücke, Seidenstrümpfen und langem blauen mit Lilien bestickten Mantel
Personifizierung des Absolutismus: der französische "Sonnenkönig" Ludwig XIV
Portrait eines hageren älteren Mannes aus dem  18 Jahrhundert
John Locke - geistiger Vater des politischen Liberalismus

Anlass genug für John Locke, sich ausführlich mit den Folgen eines allzu mächtigen Staats auseinanderzusetzen. 1689, dem Jahr der „Glorious Revolution“, die in England den Absolutismus beendete, veröffentlichte er seine „Two Treatises of Government“ – „Zwei Abhandlungen über die Regierung“. Locke greift darin Hobbes‘ Vorstellung des Naturzustands auf, aber er beschreibt ihn wesentlich freundlicher als sein Landsmann einige Jahrzehnte zuvor: Die Menschen sind von Natur aus frei, gleich und unabhängig. Freiheit und Gleichheit sind bei Locke nicht mehr Früchte staatlicher Autorität, sondern die moralische Grundlage des natürlichen Zusammenlebens. Mit Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrags geben die Bürger einen Teil ihrer angeborenen natürlichen Freiheit auf.

Im Gegensatz zu Hobbes fordert Locke daher so wenig Staat wie möglich, ein Gedanke, mit dem er die ideologische Grundlage des Liberalismus legt. Der Staat ist in erster Linie nötig, weil der Naturzustand die Gefahr birgt, dass Einzelne, etwa durch Anwendung von Gewalt, gegen die Gerechtigkeit verstoßen. Ohne Staat bliebe den Opfern nur, „den Himmel anzurufen“. Nur deshalb geben die Menschen den Naturzustand auf und übertragen dem Souverän die Autorität, als zentrale Instanz Streitigkeiten zu schlichten und die Schwachen zu schützen. Der Staat muss dabei allen Parteien gegenüber Neutralität wahren, er darf niemanden bevorzugen oder benachteiligen. Und natürlich muss sich bei diesem Gesellschaftsvertrag auch die Staatsgewalt bedingungslos an die Gesetze halten. Verletzt die Regierung diese Regeln, kann sie abgesetzt werden – notfalls mit Gewalt. Denn: „Wo immer das Gesetz endet, beginnt die Tyrannei“ Alle Regeln gelten unabhängig von der gewählten Staatsform: Monarchien unterliegen ihnen ebenso wie Oligarchien oder Demokratien.

 

Montesquieu fordert Gewaltenteilung und bezweifelt die Gleichheit

Locke hatte auch beobachtet, dass die Autoritäten des Staates häufig in eine Legislative, eine gesetzgebende Instanz und in eine Exekutive, eine ausführende Instanz getrennt sind. Er erklärt dieses Muster damit, dass die Gesetze, nachdem sie einmal erlassen worden sind, auch konsequent durchgesetzt werden müssen. Diesen Gedanken entwickelte Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède de Montesquieu weiter. 1748 veröffentlichte der Freiherr sein staatstheoretisches Traktat „De l’esprit des loix“ – „Vom Geist der Gesetze“, das umgehend auf dem Index für verbotene Bücher der katholischen Kirche landete. Obwohl es zunächst nur in der liberalen Republik Genf anonym veröffentlicht werden konnte, avancierte die Schrift rasch zu einem europäischen Bestseller.


Montesquieu liefert in seinem Werk eine Synthese aus Hobbes und Lockes Naturzustand: Die Menschen verhalten sich ohne staatliche Ordnung nur deshalb friedlich, weil jeder vor jedem Angst hat. Eine staatliche Ordnung beseitigt zwar diese Angst, dafür können aber nun sowohl innerhalb einer Nation als auch zwischen Nationen Kriegszustände entstehen. Innerstaatliche Konflikte sind eine Folge der Ungleichheit zwischen den Menschen. Ziel aller Gesetzgebung muss es daher sein, Spannungen zu verhindern. Ob ein Staat gut ist, hängt für Montesquieu nicht von der konkreten Regierungsform ab, sondern – hier stimmt er mit Locke überein – davon, ob die Gesetze eingehalten werden. Dies nicht zu tun, führt in die Despotie.


Profilportrait von Montesquieu
Erweiterte die Gewaltenteilung um die Judikative: Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède de Montesquieu

Um Machtmissbrauch und das Abgleiten in einen despotischen Staat zu unterbinden, fordert Montesquieu eine Teilung staatlicher Gewalt in drei verschiedene Instanzen. Lockes Legislative und Exekutive fügt er als drittes die Judikative, die Rechtsprechung hinzu. Wären Legislative, Exekutive und Judikative nicht getrennt, könnte ein tyrannischer Herrscher missbräuchliche Gesetze erlassen und vollstrecken oder ein unredlicher Richter nach selbst gewählten Geboten Recht sprechen. Für Montesquieu ist es essentiell, dass die legislative Macht allein vom Volk ausgeht; in großen Staaten notwendigerweise durch Repräsentanten, die dem Gemeinwillen verpflichtet sind.

Doch auch für den Baron sind nicht alle gleich. Die Ärmsten sind vom Wahlrecht auszuschließen, während dem Adel qua Geburt, Vermögensverhältnisse oder persönlicher Leistungen ein stärkeres Gewicht zukommt. Um der zahlenmäßigen Übermacht der ungebildeten Volksmassen entgegenzuwirken, sollte die Legislative daher aus zwei Kammern bestehen. Die eine, das Unterhaus, repräsentiert das Volk, die andere – ein Oberhaus, ein Senat oder eine vergleichbare Institution – die Interessen der Aristokratie. Beide Kammern haben die Möglichkeit, mittels Veto die Initiativen der jeweils anderen Kammer zu blockieren oder zu korrigieren. Wie schon bei Platon umfasst Aristokratie bei Montesquieu nicht nur den Adel, sondern auch die intellektuelle und finanzielle Elite – es geht um die Beteiligung der „Besten“.


In dem wenig bekannten abschließenden Teil seines Buchs denkt Montesquieu darüber nach, warum staatliche Verfassungen und Gesetze je nach Land oftmals sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Die Hauptursache sieht er im Klima, das die verschiedenen Mentalitäten der jeweiligen Einwohner erkläre. Die Südländer seien sensibler, geistreicher, aber auch berechnender, fauler und unmoralischer als die Menschen aus dem Norden. Die Hitze mache die Menschen im Süden, insbesondere im Orient, träge und passiv. Sie benötigten daher Gesetze, die diesen Tendenzen entgegenwirken und sie zur Arbeit motivieren. Aus diesem Grund seien heiße Länder meist despotisch verfasst und Sklaverei dort eine gängige Praxis, während in den kalten Zonen eine freiheitliche Gesinnung vorherrsche.

Montesquieu starb 1755 in Paris. Das Werk des französischen Adligen gilt heute als eine der einflussreichsten ideengeschichtlichen Schriften überhaupt. Indem es – ganz im Sinne der Aufklärung – die individuellen Interessen der Bürger in den Vordergrund stellt, legte es die Grundlage, den alten Gewaltenteilungs-Dualismus zwischen Kirche und Staat abzulösen. In den Vereinigten Staaten sollte Montesquieus Gewaltenteilung bereits wenige Jahrzehnte später erstmals offiziell in einer Verfassung verankert werden; heute ist sie ein festes Element aller freiheitlich verfassten Länder. Die Überlegungen des Barons zum Einfluss des Klimas auf Mentalitäten und Verfassungen wurden von Vielen belächelt. Einige jedoch sehen in ihnen neben Machiavellis Thesen eine gedankliche Vorbereitung der modernen empirisch fundierten Soziologie.

 

Rousseau neigt zur Zwangsbeglückung

„Der Mensch ist von Natur aus frei, und doch überall in Ketten.“ Mit diesem berühmten Zitat beginnt die 1762 veröffentlichte Schrift „Du Contrat Social“ – „Vom Gesellschaftsvertrag“, des 1712 in Genf geborenen und 1778 bei Paris gestorbenen Jean-Jacques Rousseau. Wie der Titel nahelegt, ist auch dieses Werk eine Vertragstheorie und wie ihre Vorgänger sollte auch sie einen außerordentlichen Einfluss haben. Rousseaus Naturzustand ähnelt stark der von Locke beschriebenen Idylle. Die Menschen, frei und gleich geboren, sind grundsätzlich wohlwollend, hilfsbereit und rücksichtsvoll. Es gibt daher zunächst keine Notwendigkeit für einen starken, autoritären Staat.


Kreidezeichnung von Rousseau im gelbem Rock mit weißer Perücke
Eine gewisse Neigung zu radikalen Ansichten: J.-J- Rousseau

Die Motivation sich zu einer Gemeinschaft zusammenzuschließen besteht bei Rousseau darin, dass die Mitglieder der Gesellschaft ihre „volonté de tous“, ihren persönlichen Einzelinteressen, der „volonté générale“, dem Gemeinschaftsideal unterordnen, letztlich aus der Einsicht heraus, dass sie zusammen mehr erreichen können. Die Unterwerfung unter den Primat des Allgemeinwohls ist bei Rousseau allerdings radikal: Sie bedeutet „die völlige Entäußerung jedes Mitglieds mit allen seinen Rechten an das Gemeinwesen als Ganzes“. Jedes Mitglied der Gemeinschaft ist damit zugleich Souverän und Untertan, ist sowohl aktiver Bürger als auch passives Subjekt. Unter diesen Bedingungen fallen Einzelinteresse und Gemeinwohl wieder zusammen. Verstößt ein einzelnes Glied der Gemeinschaft gegen diese Regeln, das heißt, es beansprucht Rechte, ohne seinen Pflichten nachzukommen, muss es von der Gemeinschaft sanktioniert werden. In Rousseaus Augen bedeutet dies, das fehlbare Gemeinschaftsglied wieder zu seiner Freiheit zu zwingen.


Zeichnung von französischen Sans-Culotten mit roten Mützen
Mit den französischen Revolutionären war nicht immer zu spaßen

Rousseaus radikaldemokratische Forderungen sicherten auch seinem Buch umgehend den Eintrag auf zahlreichen Indexlisten. Allerdings sehen bis heute viele Politologen, Soziologen und Philosophen in ihm auch einen zentralen Wegbereiter totalitären Denkens: Führende Köpfe der Französischen Revolution beriefen sich auf Rousseau, als sie andere Köpfe rollen ließen.

 

Burke glaubt nicht an raschen Fortschritt

Eine deutliche Gegenposition zu Locke, Montesquieu und Rousseau vertrat der irische Staatsphilosoph Edmund Burke (1729-1797). Dem Grundvertrauen, das die Aufklärer in das Menschengeschlecht setzten, mochte er nicht folgen, da selbst mit viel Vernunft ausgestattete Menschen seiner Meinung nach immer noch beachtlichen Limitationen unterliegen. Wichtiger ist daher eine auf staatliche Autorität gestützte hierarchische Gesellschaft, als Ausdruck einer natürlichen Ordnung.


Portrait eines etwas pummeligen jungen Mannes mit roten Haaren aus dem 18. Jahrhundert
Rothaariger Ire und Vordenker des Konservativismus: Edmund Burke

Wo Veränderungen unumgänglich sind, sollten sie langsam und maßvoll erfolgen, etwa über eine Weiterentwicklung der Verfassung, keinesfalls aber über Revolutionen. Anstatt blind auf den Fortschritt zu setzen, ist es besser, der Weisheit früherer Generationen zu vertrauen: „Wut und Verblendung können in einer halben Stunde mehr niederreißen, als Klugheit, Überlegung und weise Vorsicht in hundert Jahren aufzubauen imstande sind.“ Der Gesellschaftsvertrag ist bei Burke nicht Rousseaus freiwillige Unterordnung des edlen Wilden unter den allgemeinen Willen, sondern vielmehr ein Vertrag zwischen der jetzigen und der künftigen Generation. Diese Positionen machen Burke zum gedanklichen Begründer des Konservativismus.

 

 

Wer mehr wissen will:

Locke John (1974) „Zwei Abhandlungen über die Regierung“, Reclam.

Montesquieu (1965): „Vom Geist der Gesetze“, Reclam.

Rousseau, Jean-Jacques (1986) „Vom Gesellschaftsvertrag”, Reclam.

Burke Edmund (1967) „Betrachtungen über die Französische Revolution“, Suhrkamp.

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