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Platon: Philosophie als Befreiung


Ein privilegierter Schüler des Sokrates

Wer der historische Sokrates tatsächlich war, den wir im letzten Philosophie-Blog betrachtet haben, wissen wir nicht. Wie von den meisten Vorsokratikern sind auch von ihm keine Schriften überliefert. Das Bild, das wir heute von ihm haben, beruht allein auf Aufzeichnungen seiner Schüler. Der berühmteste unter ihnen ist Platon. Um 428 v. Chr. als Spross einer hochadligen Athener Familie geboren, hätte er sicherlich als Politiker in seiner Heimatstadt Karriere machen können. Doch eine Beteiligung an der Terrorherrschaft der Athener Oligarchen, die nach Athens Niederlage gegen Sparta im Auftrag der Siegermacht die Macht übernommen hatten und in die etliche Angehörige der Familie Platons verstrickt waren, schlug er aus. Nach Sokrates‘ Hinrichtung bereiste Platon, wie für junge privilegierte Männer schon damals üblich, mehrere Jahre lang die antike Welt. Seine Bildungsreise soll ihn nach Libyen, Süditalien, Sizilien und möglicherweise auch nach Ägypten geführt haben.


Ein Renaissancegemälde dass einen  bärtiger älteren Mann mit langen Haaren, Bart und Stirnglatze in warmen Pastelltönen darstellt
So stellte sich der Renaissancemaler Raffael die griechische Philosophenikone Platon vor

387 v. Chr. kehrte Platon nach Athen zurück. Im Hain des Akademos gründete der Vierzigjährige eine Schule, die nach ihrem Ort vor den Toren der Stadt als „Akademie“ bezeichnet wurde. Hier sollte Platon in den kommenden zwanzig Jahren jene Arbeit leisten, die ihn zum wohl einflussreichsten Philosophen überhaupt machen sollte. Seinen Weltruhm verdankt er dabei nicht zuletzt seinem schriftstellerischen Talent. In seinem wohl fast vollständig überlieferten Werk finden sich zahlreiche Dialoge, eine von ihm erfundene, auf Rede und Gegenrede basierende literarische Form, in der er neben anderen bekannten Persönlichkeiten seiner Zeit auch seinen Lehrer Sokrates wieder auferstehen lässt.

 

Ein Suchender

Platon ist auf der Suche. Er möchte ein umfassendes, in sich geschlossenes System erschaffen, das den Menschen den Weg zu einem besseren Leben weist. Doch auf welche Grundlagen kann er bauen? Da ist zunächst Sokrates‘ Fragetechnik. Ein hilfreiches Werkzeug, um die Schwächen und Widersprüche vordergründigen Wissens bloßzulegen. In Platons frühen Dialogen steht Sokrates‘ Dialektik im Mittelpunkt. Der Schüler erhebt seinen Lehrer, der argumentative Schwächen so gut aufzudecken wusste, damit zum Begründer wichtiger erkenntnistheoretischer Grundlagen. Die Lehren der Vorsokratiker erscheinen Platon hingegen oftmals allzu subjektiv und widersprüchlich. Platon missfällt die Weltsicht von Heraklit. Wäre alles in ständigem Wandel, gäbe es die absolute Wahrheit nicht, nach der er sucht. Interessanter ist da schon die Idee, die sich bei Parmenides und den Pythagoreern findet, die Vorstellung einer subjektiv-diesseitigen und einer objektiv-jenseitigen Welt.

 

Philosophie als Befreiung

Die Einsicht, dass unsere Sinne uns täuschen können, führt Platon zu einer ersten zentralen Erkenntnis: Die Welt ist nicht das, was sie zu sein scheint. Wir verwechseln Vorspiegelungen mit der wahren Natur der Dinge. Diese Idee legt der Philosoph in seinem berühmten Höhlengleichnis dar: Angekettete Gefangene sitzen in einer Höhle mit dem Gesicht zur Wand. Ein Feuer in ihrem Rücken wirft flackernde Schatten auf die Felsen, Schatten, die die Gefangenen für die Realität halten. Einer von ihnen kann aus der Höhle fliehen. Er erkennt die wahre Welt und die Illusion, der alle anderen erlegen sind. Doch als er zurückkehrt, findet sich niemand, der seinen Berichten Glauben schenkt.


Eine zeichnerische Darstellung von Platons Höhlengleichnis
Das berühmte Höhlengleichnis

Platon umreißt mit diesem Gleichnis seine Vorstellung von Ontologie und Erkenntnistheorie. Der Entflohene ist der Philosoph. Er allein kann die Wahrheit schauen, weil er sich nicht auf den Augenschein verlässt. Die vordergründigen Erklärungen der anderen beruhen auf Meinungen oder Glauben, nicht aber auf wahrem Wissen. Platon erkennt, dass es Dinge gibt, die wir wahrnehmen, aber nicht verstehen; genauso gibt es aber auch Dinge, wie etwa die Mathematik, die wir verstehen, ohne sie sinnlich wahrgenommen zu haben.


Gibt es eine Möglichkeit hinter den Schleier zu schauen, der zwischen uns und der Wahrheit liegt? Platons Antwort auf diese Frage ist seine Ideenlehre: Das, was sich unseren Sinnen in der diesseitigen Welt offenbart, sind nur schlecht gezimmerte Kopien der Wahrheit, ein fahler Abglanz, dem kein wahrer Wert innewohnt. Vollkommenheit und Gewissheit finden wir allein im Reich der Ideen. Dort begegnet uns das ewige, absolute, unveränderliche Urbild, das zeit- und körperlose Original. Nur hier ist der Kreis eine Figur, bei der tatsächlich jeder Punkt die exakt gleiche Entfernung von der Mitte hat. Kreis, Tisch, Stuhl, Haus, Katze, Mensch, Tapferkeit, Gerechtigkeit, die Farbe Rot oder das Gute: Von allem existiert eine perfekte Idee. Weil diese Idee vollkommen ist, unterliegt sie auch nicht dem Zwang, sich verändern zu müssen. Die höchste, erhabenste aller Ideen ist „das Gute“, ein übergeordnetes Prinzip, aus der alle Tugenden wie Tapferkeit und Gerechtigkeit hervorgegangen sind und das die zerstreuten Einzeldinge der Welt wieder zu ordnen vermag.

 

Platons Kosmogonie

Die Vorstellung von vollkommenen Ideen prägt auch Platons Kosmogonie, seine Lehre vom Ursprung der Welt, und seine Seelenlehre. Die Himmelskörper, die sich zwischen dem Diesseits und dem Reich der Ideen befinden, müssen durch irgendetwas in Gang gesetzt worden sein. Die allzu menschlichen lügenden und betrügenden Götter der Griechen konnten etwas so Wunderbares nicht vollbringen; die Himmelsmechanik muss ihren Ursprung vielmehr in einem vollkommenen Wesen haben, das Platon als „Demiurg“, den „Schöpfer“ oder den „Handwerker“ bezeichnet. Dieser Demiurg ist auch der Urheber der unsterblichen Ideen. Als der Schöpfer nach den idealen Vorlagen die dingliche Welt erschafft, möchte sich ihm die sperrige Materie nicht fügen und so gerät ihm alles lediglich zur blassen Erinnerung an das Ideal.


Eine Schwarzweißzeichnung der wichtigsten griechischen Gottheiten
Die griechischen Gottheiten waren allzu menschlich und damit alles andere als perfekt

Doch der Demiurg will seiner Schöpfung wenigstens eine Ahnung der Ideenwelt vermitteln, um so die Vernunft und das Gute in die Welt zu tragen. Dazu stattet er alle Dinge, die sich selbst bewegen können – Tiere, Menschen und Himmelskörper – mit einer Seele aus. Wie die Weltseele des Demiurgs ist auch die menschliche Seele reiner Geist und unsterblich. Stirbt der Körper, lebt sie in einem anderen Wesen weiter, eine Vorstellung die Platon von den Orphikern und Pythagoreern übernimmt. Durch ihre göttliche Herkunft hat die Menschenseele eine Verwandtschaft mit der Weltseele, die es ihr ermöglicht, Einblick in das Reich der Ideen zu nehmen. Wir wissen um dieses Reich, nur ist die Erinnerung daran verschüttet. Die Verbindung wieder herzustellen ist Aufgabe aller Philosophie. Sie muss die Seele davor bewahren, sich mit Untugenden wie Ungerechtigkeit, Feigheit oder Gier zu beschmutzen und sich dadurch von dem Schönen, Wahren und Guten zu entfernen.

 

Eine alte Schwarzweißfotografie der Alten Oper in Frankfurt
Auch die Alte Oper in Frankfurt feiert das Wahre, Schöne und Gute

Platons Seelenlehre

Platons Seele ist ein komplexes, mehrschichtiges Gebilde, in dem Begierde, Tatkraft und Vernunft miteinander um die Vorherrschaft ringen. Der Sitz der Begierde ist der Unterleib. Hier finden sich die niederen Instinkte wie Hunger, Fortpflanzung und Egoismus. Das Tatkräftig-Mutige wohnt in der Brust. Es steht für Ordnungsliebe aber auch für Machtstreben und Aggression. Noch weiter oben, im Kopf, ist die Vernunft beheimatet. Dieser Teil der Seele strebt nach Wissen und Weisheit, wägt ab, denkt in die Zukunft und versucht, die beiden niederrangigen Anteile zu kontrollieren. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe verdeutlicht Platon in seinem Gleichnis vom Seelenwagen.


Eine Zeichnung eines antiken Streitwagens, der von zwei Pferden gezogen wird
Nicht leicht zu bändigen: Platons Allegorie der Seele

Die Vernunft ist der Wagenlenker, der versucht, zwei Pferde zu bändigen, die jeweils für den begehrenden und den mutvollen Charakteranteil stehen und den Wagen in unterschiedliche Richtungen ziehen möchten – womit Platon auch eine erste psychologische Theorie schuf. Menschen, bei denen die Begierde überwiegt, sind Kaufleute oder Bauern. Jene, bei denen der mutige Seelenanteil dominiert, sind Wächter oder Soldaten. Nur diejenigen, deren Leben durch die Vernunft bestimmt wird, sind Philosophen und damit auch gute Herrscher. Sie sind vernünftig und moralisch, weil sie vor ihrer Geburt einen größeren Anteil der absoluten Ideen in sich aufgenommen haben als alle anderen. Ein Gedanke, der, wie wir bereits gesehen haben, auch Platons politische Philosophie prägt.

 

 

Wer mehr wissen will:

Platon (1857): „Der Staat“ Siebtes Buch, Projekt Gutenberg-DE.


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