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AutorenbildJens Bott

Was ist Biologie?

Aktualisiert: 29. Sept.

Insekten-Mathematik

Die Larven der Zikadenart Magicicada septendecim schlüpfen nur alle 17 Jahre. Kämen sie alle 12 Jahre auf die Welt, würden sie auf sämtliche Fressfeinde und Parasiten treffen, die ein-, zwei-, drei-, vier-, sechs oder zwölfjährige Reproduktionszyklen haben. Beim primzahligen 17-Jahres-Zyklus droht den Insekten hingegen nur von jenen ihnen nicht wohlgesonnenen Kreaturen Gefahr, die jährlich schlüpfen oder sich in demselben, ungewöhnlichen Rhythmus reproduzieren, wie die Zikaden selbst.

Haben sich die Insekten mit dem Fundamentalsatz der Arithmetik auseinandergesetzt, um die Anzahl möglicher fataler Begegnungen zu minimieren? Wie kommen schlichte Gliederfüßer auf solch eine ausgeklügelte Strategie? Die Biologen haben darauf eine einfache Antwort: „Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, außer im Licht der Evolution“.


Darwinfink
Ein Darwinfink

Die Evolutionstheorie bildet eine mächtige Klammer, die alle biologischen Teildisziplinen, also Zelllehre, Physiologie, Genetik, Botanik, Zoologie, Ökologie und Verhalten zusammenhält. Sie beschreibt ein langfristig angelegtes Spiel mit dem Zufall; ein Spiel, das weder einem Plan folgt noch ein Ziel kennt und dessen einzige Regel lautet, dass alles erlaubt ist, was den eigenen Reproduktionserfolg erhöht. Jeder der unzähligen Spieler verfolgt eine andere Strategie. Es gibt nur wenige Gewinner – die vielen Verlierer zahlen mit ihrem Leben.


Leben – was soll das sein?

Aber was ist das eigentlich: Leben? Die Biologie hat das gleiche Problem wie die Mathematik: Es ist außerordentlich schwierig, den Untersuchungsgegenstand zu definieren. Wir wissen bis heute nicht genau, was Leben eigentlich ausmacht.

Mit dieser schwierigen Definition werden wir uns im nächsten Biologie-Blog beschäftigen. Soviel vorweg: Wenn wir in verschiedene Biologie-Lehrbücher schauen, findet sich dort keine einheitliche Begriffsbestimmung. Jede Quelle listet eine andere Reihe von Merkmalen auf, die kumulativ erfüllt sein sollte, damit etwas als „Leben“ bezeichnet werden kann. Allerdings haben alle im weitesten Sinne immer etwas mit Selbsterhalt oder Reproduktion zu tun. Salopp formuliert: Es geht stets um Fressen und Sex.

Übrigens: Die gängige Behauptung, dass der Tod zum Leben gehört, ist, wie wir später ebenfalls noch sehen werden, so nicht uneingeschränkt richtig…


Eine folgenreiche Reise

Die Ursprünge der Evolutionstheorie sind eng mit einem Vermessungsschiff der Royal Navy verknüpft. Am 27. Dezember 1831 brach die HMS Beagle zu einer langen Reise auf. In den folgenden fünf Jahren sollte die kleine Brigg, mit zahlreichen Zwischenstationen, einmal die Erde umrunden. Mit an Bord war ein 22-jähriger Naturwissenschaftler und ehemaliger Theologiestudent. Sein Name: Charles Darwin. Später sollte er in seiner Autobiographie schreiben: „Die Reise mit der Beagle war das bei weitem bedeutendste Ereignis in meinem Leben und hat meinen gesamten Werdegang bestimmt.“


HMS Beagle
Die Beagle vor der Küste Feuerlands

Die zahlreichen Beobachtungen, die Darwin während seiner Reise machte, prägten, wie wir heute wissen, weitaus mehr als lediglich seinen persönlichen Werdegang: Nach seiner Rückkehr destillierte der neugierige Forscher in jahrzehntelanger Arbeit aus seinen Notizen eine umfassende Theorie des Lebendigen, die alle überkommenen Betrachtungen über den Haufen warf und die (sofern wir nicht dem Kreationismus anhängen) unsere heutige Sicht auf die Biologie in jeder Beziehung entscheidend bestimmt. Darwins bahnbrechendes Werk „Über die Entstehung der Arten“, 1859 erschienen, beschreibt in beeindruckender Weise jene Kräfte, die aus einer Urzelle Abermillionen von Spezies entstehen ließen.


Eine Theorie, die die ganze Biologie erklärt

Die Evolutionstheorie erklärt jenes Räderwerk, das aus sich selbstreplizierenden organischen Verbindungen Abermillionen verschiedene Pflanzen- und Tierarten werden ließ. Die Einflussfaktoren, die bei dieser Entwicklung mitspielen, sind so zahlreich und die sich aus ihnen ergebenden Wechselwirkungen so komplex, dass sich ihre Ergebnisse, anders als im Falle der wohldefinierten Wissensbereiche Physik und Chemie, nicht mehr prognostizieren lassen. Wir können vorhersagen, wie sich eine Billardkugel bewegen wird, wenn eine bestimmte Kraft auf sie wirkt, oder welche Verbindung unter bestimmten Bedingungen aus Natrium und Chor entsteht. Wie sich die zahllosen Spielformen des Lebens künftig entwickeln werden, entzieht sich hingegen vollständig unserer Kenntnis. Die Vielfalt der biologischer Phänomene kann daher bestenfalls rückwirkend erklärt werden. Sie ist eine Naturwissenschaft ohne Naturgesetze.


Darwin als Affe
Karrikatur Darwins aus dem Jahr 1871

Während aktuell niemand mehr das von der Physik vermittelte Weltbild grundsätzlich infrage stellt, wird die Evolutionstheorie bis heute immer noch vielfach abgelehnt oder angefeindet. Einer Umfrage aus dem Jahre 2005 zufolge, sind 42% aller US-Amerikaner der Auffassung, dass sämtliche Arten ihre Existenz einem singulären göttlichen Schöpfungsakt verdanken und nicht einer sich über Jahrmilliarden hinwegziehenden biologischen Evolution.


Egoistische Gene

Den biochemischen Hintergrund der Artenvielfalt konnte Darwin noch nicht erklären. Den Grundstein hierfür legte wenige Jahre nach der Veröffentlichung von „Über die Entstehung der Arten“ die empirische Forschung eines österreichischen Augustinermönchs namens Gregor Mendel, der mit seiner Arbeit die Vererbungslehre begründete. Es sollten noch einmal an die 90 Jahre vergehen, bis James Watson und Francis Krick die Molekularstruktur aufklären konnten, mit der Informationen auf die nächste Generation übertragen werden. Damit war die zentrale Verbindung von Darwins Makro-Theorie zu biochemischen Mikro-Prozessen hergestellt.

Manche Evolutionsbiologen wie Richard Dawkins sind der Meinung, dass die von Watson und Krick dingfest gemachten Gene, als Träger der Erbinformation, nicht den Arten dienen, sondern dass sich die selbstsüchtigen Gene umgekehrt vielmehr der Arten bedienen, die sie gleichsam als roboterhaft fremdgesteuerte Erfüllungsgehilfen gegeneinander antreten lassen. Diese und zahlreiche weitere biologische Thesen werden wir in den kommenden Biologie Blogs näher beleuchten.


Weiterführende Literatur:

Darwin, Charles (2008): „Die Entstehung der Arten“, Nikol.

Darwin, Charles (2016): „Die Fahrt der Beagle“, Theiss.

Dawkins, Richard (1996): „Das egoistische Gen“, Rowohlt.

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2 bình luận


jotfried
03 thg 11

Der "Super-Spruch"  von Descartes ICH DENKE  --  ALSO BIN ICH kann auch Furore machen in leichter Abwandlung, nämlich als ICH GLAUBE  --  ALSO BIN ICH, oder ?  (...weil Glauben sowas wie "angewandtes Denken" ist)

....obwohl der Referent genau das -- also glauben + denken -- als Gegensatz herausstellte .

Zufällig fand ich dazu wieder eine Korrespondenz von Mitte April, woraus ich zitiere :

 So., 14. Apr. 2024, 12:40:

 Zeitraubender Zeitvertreib, nutzt wahrscheinlich hauptsächlich dem Zeitvertreiber.  Die Zeit lebe hoch !


Meine Besserwisserei :

Mir wurde "die Zeit" nicht vertrieben, sondern aufgeladen.


 Descartes "Ich denke, also bin ich" wird bei mir zu "Ich dichte, also schaffe ich". Dabei sonne ich mich im Gefühl, Ebenbild (gut-biblisch !) des Schöpfers zu sein = Selbstbefriedigung pur…


Thích

jotfried
06 thg 3

Natürlich ist BIOLOGIE nicht die "Wissenschaft vom Leben", sondern von Lebewesen.

Leben selbst ist nicht von dieser Welt. Es findet statt im Hier und Jetzt der Wirklichkeit, also vor einer imaginären Zukunft, aber nach einer hinter uns liegenden Vergangenheit.

Thích
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