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Wie ein eidgenössischer Patentprüfer dritter Klasse die Welt aus den Angeln hob.

Autorenbild: Jens BottJens Bott

Eine folgenreiche Sonnenfinsternis

Am 29. Mai 1919 herrschte auf der kleinen, beschaulichen Vulkaninsel Príncipe vor der westafrikanischen Küste einige Aufregung. Die britischen Astronomen, die unter der Leitung von Sir Arthur Eddington ihre Instrumente aufgebaut hatten, blickten sorgenvoll nach den herannahenden Wolken. Doch schließlich hatten sie Glück und es gelang ihnen den Verlauf einer totalen Sonnenfinsternis auf die Fotoplatten zu bannen.


Historische Aufnahme der Sonnenfinsternis
Historische Aufnahme der Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919
Schwarzweiss-Fotografie Eddingtons: eine seriöse Erscheinung im Anzug und mit Nickelbrille
Sir Arthur Stanley Eddington erbrachte den ersten empirischen Beweis für die Richtigkeit von Einsteins Kopfkino

Die seltene Konstellation ermöglichte es, die sonst unsichtbaren Sterne dicht neben der Sonne zu beobachten. Die Bilder bestätigten eine unglaubliche Vorhersage. Und sie machten Albert Einstein über Nacht zu einem der bekanntesten Menschen auf dem Planeten.


Rätsel Lichtgeschwindigkeit

Die Geschichte beginnt allerdings rund 30 Jahre früher. Ende des 19. Jahrhunderts herrschte allgemein die Überzeugung, dass elektromagnetische Wellen ein Medium benötigen, um sich ausbreiten zu können – so wie mechanische Wellen hierzu auf Wasser oder Luft angewiesen sind. Allerdings hatte man diesen als Äther bezeichneten mutmaßlichen Wellenträger noch nicht gefunden. Zwei amerikanische Wissenschaftler, Albert Michelson und Edward Morley, hatten sich 1887 das Ziel gesetzt, das geheimnisvolle Trägermedium endlich nachzuweisen. Sie vermuteten, dass es sich mit einer anderen Geschwindigkeit als der der Erde bewegen und so einen „Ätherwind“ erzeugen müsse, der die Ausbreitung von Lichtstrahlen abbremst. Doch sooft sie auch maßen: Das Licht war unter allen Bedingungen immer gleich schnell. Es ließ sich weder durch den "Ätherwind" abbremsen noch in irgendeiner Form beschleunigen.

 

Portrit des dänischen Astronomen um 1700 mit Allonge-Perücke
Der Däne Ole Rømer erkannte bereits im 17. Jahrhundert, dass die Lichtgeschwindigkeit endlich ist

Ein eidgenössischer Patentprüfer dritter Klasse

Dass der Betrag der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum immer gleich groß ist, war um 1900 eines der wenigen störenden Details in dem ansonsten fast vollkommenen Gebäude der Physik. Einen jungen technischen Prüfer dritter Klasse beim Eidgenössischen Patentamt in Bern ließ dieser merkwürdige Umstand nicht mehr los. Der diplomierte Fachlehrer für Mathematik und Physik nahm 1905 das Michelson-Morley Experiment zum Ausgangspunkt einer Reihe von Überlegungen. Da er über keinerlei Geräte verfügte, mit denen er seine Ideen hätte überprüfen können, war es ein reines Gedankenexperiment. Der Name des Patentprüfers war Albert Einstein und seine Gedanken sollten die physikalische Welt aus den Angeln heben.

 

Fotographie des jungen Einstein mit Schnauzbart und in einem karierten Jackett an einem Pult sitzend
Der junge Einstein im Patentamt in Bern

Kopfkino in der Eisenbahn

Einstein begab sich mit seinen Überlegungen auf eine fiktive Bahnfahrt: Wenn ein Reisender in einem fahrenden Zug in Fahrtrichtung durch das Abteil läuft, bewegt er sich aus Sicht seiner Mitreisenden mit Schrittgeschwindigkeit. Für einen Beobachter auf dem Bahnsteig hingegen addieren sich die Geschwindigkeit des Zuges und die Laufgeschwindigkeit des Reisenden. Die einfache Regel, dass die Geschwindigkeit stets relativ zum Bezugssystem des Betrachters ist, gilt aber nicht für das Licht: Schaltet der Zugführer die Scheinwerfer ein, kann er damit die Geschwindigkeit des Lichts durch den fahrenden Zug nicht weiter erhöhen. Selbst wenn der Zug mit 99,99% der Lichtgeschwindigkeit führe, würden sich die Lichtwellen immer noch mit Lichtgeschwindigkeit vom Zug entfernen.


Geschwindigkeit, so Einsteins Gedanke, ist definiert als Weg pro Zeit. Um sie zu ermitteln, benötigt man also ein Maßband und eine Uhr. Die Uhr gibt an, wieviel Zeit während eines bestimmten Vorgangs – etwa einer gleichmäßigen Pendelbewegung – vergeht. Auch die Auf- und Abwärtsbewegung eines Lichtblitzes, der zwischen zwei Spiegeln hin- und hergeworfen wird, lässt sich als solch eine Pendeluhr betrachten. Der Reisende in einem stehenden Zug und der Beobachter auf dem Bahnsteig würden beide die Bewegung eines im Zug installierten Lichtpendels als ein regelmäßiges Auf und Ab sehen. Ist der Zug aber in Bewegung, so ist die Wahrnehmung für die beiden Beobachter nicht mehr die gleiche. Aus Sicht des Zugreisenden ändert sich nichts. Die Person auf dem Bahnsteig hingegen sieht aufgrund der gleichförmigen Zugbewegung keine vertikale Auf- und Abwärtsbewegung, sondern eine diagonale Zickzacklinie. Derselbe Vorgang wird also relativ zum Bewegungszustand des Betrachters unterschiedlich wahrgenommen: Aus der Bahnsteigperspektive müsste der Lichtimpuls im gleichen Zeitraum eigentlich einen längeren Weg zurücklegen. Das aber wäre nur mit einer höheren Geschwindigkeit möglich. Diese aber kann es für das Licht wiederum nicht geben. Das ließ nur einen einzigen Schluss zu: Wenn die Geschwindigkeit für das Licht immer konstant ist, benötigt es für den längeren Weg zwangsläufig mehr Zeit.

Zwei Eisenbahnwagons; einer steht, einer fährt
Die relative Wahrnehmung eines Vorgangs hängt vom Betrachter ab

Dass die beiden Beobachter das Pendeln des Lichts unterschiedlich wahrnehmen, bedeutet letztlich, dass sich ihnen auch die Zeit als unterschiedliche Größe darstellt – jeder der beiden Betrachter hat seine persönliche Zeit. Da in der Formel Weg und Geschwindigkeit konstant sind, kann nur eine variable Zeit für beide Betrachter wieder die gleiche, absolute Wahrheit herstellen. Das heißt, dass aus Sicht des außenstehenden Beobachters die Zeit in dem fahrenden System „Zug“ weniger schnell vergeht.[i] 

 

Zeit wird gedehnt, Körper werden gestaucht

Die Zeitdilatation, die Tatsache, dass bewegte Uhren langsamer gehen, ist die erste wichtige Erkenntnis der Relativitätstheorie. Zeitangaben haben nur dann einen Sinn, wenn man auch das jeweilige Bezugssystem deutlich macht. Die Dehnung gilt nur für den außenstehenden Beobachter; der Reisende im Zug nimmt sie nicht wahr, für ihn verhält sich das Lichtpendel nicht anders, als im stehenden Zug. Für den externen Beobachter bedeutet die Zeitdehnung hingegen, dass aus seiner Sicht auch alle Vorgänge in dem bewegten Körper des Reisenden, wie Herzschlag, Zellwachstum und damit letztlich der Alterungsprozess, langsamer ablaufen. Dieses Phänomen tritt bei jedem Spaziergang, jeder Zugfahrt, jeder Flugreise auf – spürbar wird es jedoch erst bei extrem hohen Geschwindigkeiten.[ii] Für einen Astronauten, der sich rasend schnell in seinem Raumschiff durch das All bewegt, wäre es sehr viel bedeutsamer. Reiste er nahe der Lichtgeschwindigkeit, würde seine Zeit aus Perspektive eines auf der Erde zurückgebliebenen Zwillingsbruders viel langsamer vergehen. Während für den Astronauten nur ein Jahr verstreicht, würde sich die Erde mehrmals um die Sonne drehen. Mit einem phantastisch schnellen Raumschiff könnte der Astronaut also in die Zukunft unseres Planeten reisen.


Einstein überlegte weiter, was geschieht, wenn die Lichtuhr gedanklich um 90° gedreht wird. Der Blitz pendelt nun horizontal. Auch dieser Vorgang wird von den beiden Beobachtern unterschiedlich wahrgenommen. Der Zug fährt nun gleichsam vor dem herannahenden Lichtstrahl davon; somit müsste das Licht auch diesmal, von außen betrachtet, in der gleichen Zeit einen längeren Weg zurücklegen. Da seine Geschwindigkeit aber nicht weiter gesteigert werden kann, ist auch in diesem Fall nur ein Schluss möglich: Aus Sicht Außenstehender verkürzt sich der fahrende Zug in Bewegungsrichtung. Anders gesagt: Bewegte Objekte schrumpfen.[iii]


In der Natur treten Zeitdilatation und Längenkontraktion immer gemeinsam auf. Das heißt, dass für alle Beteiligten die absolute Gleichheit der Ereignisse nur durch eine variable Zeit und einen variablen Weg hergestellt werden kann. Dabei gibt es keine richtigen oder falschen Bezugssysteme, man kann letztlich nicht sagen, ob der Zug am Bahnsteig vorbeifährt, oder der Bahnsteig am Zug.

 

Das Ende der newtonschen Physik

Die Entdeckung von Zeitdilatation und Längenkontraktion war nicht weniger als das Ende der Newtonschen Physik, die die Naturwissenschaften mehr als 200 Jahre lang regiert hatte. Einstein hatte erkannt, dass Zeit und Raum keine starren Naturkonstanten sind, dass sie nicht lediglich die Bühne darstellen, auf der die Physik ihr Schauspiel aufführt, sondern dass sie vielmehr als Darsteller unmittelbar in die Handlung eingreifen. Da Zeitdilatation und Längenkontraktion aneinandergekoppelt sind, sind auch Raum und Zeit miteinander verwoben. Einstein übernahm hierfür von dem Mathematiker Hermann Minkowski den Begriff der „Raumzeit“. Er besagt im Kern, dass die Überwindung von Raum Zeit benötigt: Wenn wir unseren Erdtrabanten betrachten, sehen wir nicht den Mond, sondern wir sehen den Mond, wie er vor 1,3 Sekunden ausgesehen hat. Ein 13.000 Lichtjahre entfernter Beobachter sieht heute, wie auf der Erde die ersten Jäger und Sammler sesshaft wurden. Könnten wir ihn bitten, uns diese Geschehnisse zu beschreiben, so müssten wir 26.000 Jahre auf die Antwort warten. So gesehen, ist jeder unserer Blicke ein Blick in die Vergangenheit. Die Lichtgeschwindigkeit von knapp 300 Millionen Metern pro Sekunde verbindet Ereignisse in Raum und Zeit. Zugleich ist sie die Obergrenze, mit der sich Information übertragen lässt.


Gemäß den Gesetzen der klassischen Physik wird der Impuls eines aufprallenden Körpers durch das Produkt aus dessen Geschwindigkeit und Masse bestimmt. Der Passagier eines mit astronomischer Geschwindigkeit fahrenden Zuges würde aus seinem Wagon heraus den Einschlag eines Meteoriten aufgrund der Zeitdilatation als langsamer wahrnehmen als ein stehender Betrachter. Die Naturgesetze sind für alle Beteiligten jedoch dieselben; die unterschiedliche Wahrnehmung kann nicht unterschiedliche Einschlagskrater erzeugen. Der Meteorit muss daher aus Sicht des bewegten Beobachters eine größere Masse haben, so dass der Effekt der verminderten Geschwindigkeit exakt ausgeglichen wird und somit den Gesamtimpuls erhält. Dies ist die relativistische Massenzunahme: Masse wächst, je schneller sie sich bewegt.

 

Energie und Masse: zwei Seiten einer Medaille

Masse hat gemäß Newtons erstem Bewegungsgesetz die Eigenschaft, in ihrem aktuellen Ruhe- oder Bewegungszustand zu verharren. Allein eine äußere Kraft, die stark genug ist die masseabhängige Trägheit zu überwinden, kann diesen Zustand ändern. Wenn aber die Masse mit der Geschwindigkeit wächst, wächst auch die Trägheit bis zu dem Punkt, ab dem sie nicht mehr überwunden werden kann und keine weitere Beschleunigung mehr möglich ist, ganz gleich, wieviel Energie man dem Körper noch zuführt. Dieser Grenzpunkt ist die Lichtgeschwindigkeit. Nichts im Universum kann die masselosen elektromagnetischen Wellen einholen oder gar überholen. Ein Raumschiff, das mit Lichtgeschwindigkeit flöge, wäre unendlich schwer. Die Astronauten an Bord könnten ihr eigenes Spiegelbild nicht mehr betrachten; die Zeit stünde für sie vollkommen still – sie hätten das ewige Leben.

Einstein wusste, dass gemäß dem Erhaltungssatz durch Wandlung keine Energie verloren gehen kann. Was aber geschieht mit der Energie, die eine Masse beschleunigt? Diese Frage führte Einstein zu seiner bislang verblüffendsten Erkenntnis: Die Energie kriecht gleichsam in die Masse des beschleunigten Objekts hinein. Wenn Energie aber eine Masse anschwellen lässt, dann muss auch Masse eine Form von Energie sein. Einstein fand heraus, dass dieser Zusammenhang der Gleichung  gehorcht.


Die wohl berühmteste Formel der Welt ist Teil unserer Popkultur geworden. Doch was genau besagt sie? Einsteins Gleichung enthält zwei einfache Erkenntnisse: Die erste besagt, dass Masse und Energie ein und dasselbe sind. Masse ist „gefrorene Energie“, ein sehr dichtes Speichermedium für Kraft mal Weg. Masse lässt sich in Energie und Energie in Masse umwandeln. Zwei elementare Einheiten der Physik, Joule und Kilogramm, die bisher niemand in eine direkte Verbindung gebracht hatte, sind zwei Seiten derselben Medaille.

Die zweite Erkenntnis ist, dass Masse unvorstellbar viel Energie enthält. Denn der Umrechnungsfaktor ist das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit und 300.000 Kilometer pro Sekunde mit sich selbst multipliziert ergeben eine schwindelerregende Zahl: Ein Kilogramm Materie enthält rund 25 Milliarden Kilowattstunden Energie. Wenige vollständig in Energie umgewandelte Tonnen Masse könnten theoretisch den jährlichen Energiebedarf der Menschheit decken. Dabei ist es völlig unerheblich, woraus die Masse besteht: Luft ist genauso gut wie Uran oder Newtons Apfel.


Dass der Umrechnungsfaktor nicht die einfache Lichtgeschwindigkeit ist, sondern ihr Quadrat, ergibt sich aus Einsteins mathematischen Herleitungen. Einen intuitiven Zugang zu dieser Beziehung erhalten wir, wenn wir uns an die Macht der kleinen Hochzahl erinnern: Eine doppelt so schnell fallende Kugel hinterlässt einen viermal so tiefen Krater; Wirkung von Gravitation und elektrischer Ladung verringern sich im Quadrat des Abstands; bei dreifacher Geschwindigkeit verneunfacht sich der Bremsweg eines Autos. Kurz: Quadratisches Wachstum ist in der Natur ein sehr gängiges Phänomen.


Portrait des ergrauten Einsteins mit wirren Haaren und Schnurrbart in einem blauen Pullover
Eine in der Wissenschaftsgeschichte einmalige Persönlichkeit

Die spezielle Relativitätstheorie wird erweitert

Einsteins Aufsatz „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ entstand 1905 innerhalb weniger Wochen. Wir kennen ihn heute unter dem Namen „spezielle Relativitätstheorie“. In ein paar Zeilen hatte ein 26-Jähriger die verborgene Verbindung zwischen Masse und Energie aufgedeckt, Raum und Zeit neu definiert und dabei, fast im Vorübergehen, das Newtonsche Weltbild zerschmettert. Doch Einsteins Theorie hatte eine bedeutsame Einschränkung: Sie galt nur für sich gleichförmig bewegende Objekte und unterstellte zudem die Existenz geschlossener und kräftefreier Systeme. Ein Raumschiff aber, das die Erde umkreist, ist keineswegs ein kräftefreies System. Es unterliegt, wenn auch nur schwach, der Schwerkraft unseres Planeten. Die Gravitation, Newtons universelle, beschleunigende, nicht abschirmbare und mit einer unendlichen Reichweite ausgestattete Kraft, war in die Theorie nicht eingebunden.


Diesmal war es nicht in einigen Wochen getan. Einstein stieß bei dem Versuch, Beschleunigung und Gravitation in seine Überlegungen einzubauen, an die Grenzen seiner mathematischen Kunstfertigkeit. Er musste die Hilfe seines alten Studienfreundes, des Mathematikers Marcel Grossmann in Anspruch nehmen. Elf Jahre sollten vergehen, bis Einstein 1916 endlich sein umfassendes Gedankengebäude vorstellen konnte. Die „allgemeine Relativitätstheorie“ ist eine neue Betrachtung der Gravitation, eine grandiose Erweiterung unseres Weltbildes, zugleich aber auch eine grenzenlose Überforderung unseres Vorstellungsvermögens.

 

Beschleunigung und Schwerkraft erzeugen identische physikalische Effekte

Ausgangspunkt von Einsteins Überlegungen war diesmal ein Effekt, der sich in jedem Fahrstuhl beobachten lässt: Stellt man sich im Lift auf eine Waage (die nichts anderes als ein Schwerkraftmesser ist) zeigt diese, solange der Fahrstuhl nach oben beschleunigt, eine Gewichtszunahme an. Fährt der Lift dann gleichmäßig, zeigt die Waage das „normale“ Gewicht. Dies ist im Einklang mit Newtons erstem Bewegungsgesetz, das besagt, dass in jedem System, das sich kräftefrei mit gleichbleibender Geschwindigkeit bewegt, die gleichen Bedingungen gelten, wie in einem ruhenden System. Bremst der Lift vor der Ankunft ab, fühlen wir uns nicht nur leichter – wir sind es auch. Unser Gewicht auf der Waage ist nun geringer. Die Fahrstuhlreise macht deutlich, dass Beschleunigung und Schwerkraft letztlich zu identischen physikalischen Effekten führen. Dieses Äquivalenzprinzip ist das Fundament der allgemeinen Relativitätstheorie.

In einem sich beschleunigenden System gelten andere Bedingungen als in einem, das ruht oder sich gleichförmig bewegt: Eine Kugel, die in einem Zug auf einem Tisch liegt, rollt bei Beschleunigung entgegen der Fahrtrichtung zurück, Reisende werden in ihre Sitze gedrückt. Ein Lichtimpuls, der in Fahrtrichtung gesendet wird, muss bei Beschleunigung, im Vergleicht zu einem sich gleichförmig bewegenden System, einen noch längeren Weg zurücklegen – die Spitze des Zugs fährt dem herannahenden Lichtblitz zunehmend schneller davon. Das Licht braucht für den längeren Weg mehr Zeit. Somit führt nicht nur eine konstante Geschwindigkeit zu einer Zeitdehnung, sondern auch eine Beschleunigung. Aufgrund des Äquivalenzprinzips gilt das aber auch für die Gravitation. Das bedeutet, dass Uhren mit zunehmender Schwerkraft immer langsamer gehen.


Fotografie eines Atompilzes in Rot und Gelb
1954 auf dem Bikini Atoll: Hier wird gerade 1% einer überschaubaren Masse in Energie verwandelt

Diese Aussage ist eine Verallgemeinerung des ersten Grundprinzips der speziellen Relativitätstheorie: Je stärker Beschleunigung oder Gravitation wirken, desto schleppender vergeht die Zeit. An der Küste gehen Uhren langsamer als auf einer Bergspitze, denn sie befinden sich näher am Erdmittelpunkt, dem Gravitationszentrum unseres Planeten. Die Bewohner von Zermatt und Kathmandu altern also schneller als die Einwohner von Emden und New York.[iv] Zwar beträgt auch diesmal der Effekt auf der Erde nur wenige milliardstel Sekunden; für die großen Maßstäbe des Weltalls aber gilt: Die Zeit wird durch die Gravitationsfelder großer, schwerer Himmelskörper merklich beeinflusst.

Damit ließ sich nun auch die zweite Aussage der speziellen Relativitätstheorie erweitern: Wenn in der Nähe großer Gestirne die Zeit langsamer abläuft, müsste sich der Lichtstrahl in der langsameren Zeit eigentlich über eine größere Strecke ausbreiten. Da die Lichtgeschwindigkeit aber konstant ist, ist auch diesmal die einzige Möglichkeit die, dass sich Objekte in der Nähe großer Massen verkleinern. Mit anderen Worten: Körper schrumpfen unter Einwirkung der Schwerkraft. Die Einwohner von Emden altern zwar weniger schnell, dafür werden sie stärker zusammengestaucht. Zeitdilatation und Längenkontraktion führen dazu, dass der gesamte Raum durch die Gravitationswirkung von Massen „verbogen“ und dadurch vergrößert wird. Schwerkraft ist somit letztlich nichts anderes als Raumzeitkrümmung.

 

Verbo(r)gene Welten

Es ist besser, wenn wir gar nicht erst versuchen, uns unter Raumzeitkrümmung etwas vorzustellen. Die Evolution hat uns nur auf eine dreidimensionale Welt vorbereitet – das genügt vollkommen, um sich von Ast zu Ast zu schwingen. Das Prinzip der Raumzeitkrümmung lässt sich aber mit einer Analogie aus der dreidimensionalen Welt verdeutlichen, in der ein aufgespanntes zweidimensionales Stofftuch den dreidimensionalen Raum repräsentiert. Legen wir eine Kugel auf das Tuch, wird durch die Masse der Kugel die Fläche gedehnt und damit vergrößert. So wie die Schweiz eine größere Fläche hätte, wenn man ihre Gebirgsfalten auseinanderzöge, so hat der Raum unter Einwirkung der Gravitation ein größeres Volumen. Dieser „verbogenen Welt“, war mit Euklids Geometrie allerdings nicht beizukommen. Nach einigen Mühen gelang es Grossmann und Einstein, Minkowskis Raumzeit mit Riemanns Geometrie gekrümmter Flächen miteinander zu verknüpfen und die Raumzeitkrümmung so mathematisch zu beschreiben.


Damit wurde deutlich, dass das Wesen der Schwerkraft ungleich komplexer war, als von Newton ursprünglich beschrieben: Die Gravitation ist eine Eigenschaft des gekrümmten Raumes, die dessen Geometrie verändert. Dort, wo es Masse gibt, ist der Maßstab für Raum ein anderer als im Vakuum. Einstein ersetzte Newtons Fallbeschleunigung durch die Vorstellung eines Fallens in die Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit. Die Himmelskörper ziehen ihre Bahnen im Trichter der Raumzeitkrümmung. Damit ließen sich nun endlich auch die von Kepler beobachteten Unregelmäßigkeiten der planetaren Umlaufbewegungen erklären, auf die die klassische Mechanik keine Antwort wusste.

Eine letzte Frage galt es noch zu klären: Welchen Einfluss hat der gekrümmte Raum auf das Licht? Licht hatte schließlich Wellencharakter und besaß keine Masse, so dass die Gravitation ihm eigentlich nichts anhaben können müsste. Doch Einstein ging davon aus, dass auch Lichtstrahlen durch massereiche Objekte abgelenkt werden. Genau diese Voraussage der allgemeinen Relativitätstheorie, konnte durch die Sonnenfinsternis von 1919 auf Príncipe erstmals experimentell bestätigt werden. Sterne, die nahe bei der Sonne stehen, haben, bedingt durch das Schwerefeld des Fixsterns, eine scheinbar andere Position am Himmel als jene, die weiter entfernt sind.

 

Graphische Darstellung von Raumkrümmung und Lichtablenkung
Die Gravitation verbiegt Raumzeit und Licht

Mit der allgemeinen Relativitätstheorie kehrt die Physik zu ihren astronomischen Ursprüngen zurück. Als eine neue Theorie der Gravitation markiert sie den Beginn der modernen Kosmologie. Bereits 1916 hatte der deutsche Astrophysiker Karl Schwarzschild, basierend auf Einsteins Thesen, die Existenz schwarzer Löcher vermutet, Überreste sehr großer, ausgebrannter Sterne, deren Massen auf ein winziges, unvorstellbar dichtes Volumen konzentriert sind. Diese Objekte mussten den Raum dermaßen krümmen, dass er die Form eines Trichters annimmt, der wie ein kosmischer Staubsauger alles frisst, was ihm zu nahekommt. Selbst das Licht wird Opfer der extremen Gravitation und von dem schwarzen Loch vollständig verschluckt.

 

Die Relativitätstheorie - ein ganz neues Weltbild

Newtons Weltbild war damit vollständig aus den Angeln gehoben. Ganz offenbar wurde das Universum von einem ganz anderen Regelwerk regiert, als man seit dem späten 17. Jahrhundert geglaubt hatte: Zeit und Raum sind dynamisch; Energie und Materie zwei Erscheinungsformen desselben Phänomens; Massen verbiegen Raum und verschlucken Licht. Allein aus Gedankenexperimenten und Kopfkino geboren, ist die Relativitätstheorie die vielleicht größte intellektuelle Leistung, die jemals einer einzelnen Person zugeschrieben werden konnte. Seit nunmehr über 100 Jahren hält sie allen experimentellen Überprüfungen stand. Mit ihr hat Einstein nicht nur die Physik, sondern auch die Art und Weise, wie wir die Welt betrachten auf eine völlig neue Ebene gestellt.[v]


Unwillkürlich drängte sich die Frage auf, ob sich die unglaublichen Energiemengen, die in der Materie schlummern, nicht in irgendeiner Form freisetzen ließen. Die Physiker ahnten, dass ihnen eine Theorie, der großen, kosmischen Maßstäbe hierbei nicht weiterhelfen würde. Sie mussten die Antwort am anderen Ende der Größenskala suchen. (Mehr dazu im nächsten Physik-Blog...)

 

 

Wer mehr wissen will:

Einstein, Albert (1905): „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“, Annalen der Physik, vierte Folge, Band 17

Hollinger, Maik (2014): „Einstein erlangt Weltruhm“ in: skriptum-geschichte.de Heft 1 2014.

Bodanis, David (2001): „E = mc2 A Biography of the World´s Most Famous Equation”, Pan.


Anmerkungen:

[i] Allerdings vergeht die Zeit auf dem Bahnsteig besonders langsam, wenn man kalte Füße hat.

[ii] Die Zeitdilatation konnte mithilfe von Flugzeugen und Atomuhren mehrfach experimentell bestätigt werden, wenn auch die ermittelten Zeitunterschiede nur wenige milliardstel Sekunden ausmachen.

[iii] Der niederländische Physiker Hendrik Antoon Lorentz hatte bereits 1892 bestimmte Abweichungen im Michelson-Morley Experiment mit einer Objekt-Kontraktion erklärt.

[iv] Auch dieser Effekt konnte mit Atomuhren experimentell nachgewiesen werden.

[v] Zahlreiche Alltagstechnologien, wie etwa die Satellitennavigation, wären ohne die Relativitätstheorie undenkbar. Navigationssysteme liefern nur dann hinreichend genaue Positionsbestimmungen, wenn die durch die Gravitation verursachte Zeitdilatation zwischen Satellit und Erde in den mathematischen Algorithmen berücksichtigt wird.

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