Wie funktionieren Sprachen? Eine kleine Geschichte der Kommunikationstheorien
- Jens Bott
- vor 2 Stunden
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Humboldts Sprachtheorie
Wilhelm von Humboldt (1767-1835), der um zwei Jahre ältere Bruder des berühmten Naturforschers, beherrschte ein gutes Dutzend Sprachen, darunter Tschechisch, Litauisch und Ungarisch. Eine Sprache, die es ihm ganz besonders angetan hatte, war das Baskische. Das Baskische war nicht nur, wie auch das Ungarische, mit keiner indoeuropäischen Sprache verwandt, sondern anders als Ungarisch, überhaupt keiner Sprachfamilie zuzuordnen. Humboldts grammatikalische Analysen sollten ihn zum Begründer der vergleichenden Sprachwissenschaften machen. Sprache war für den preußischen Gelehrten „gleichsam die äußere Erscheinung der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache, man kann sie beide nie identisch genug denken.“[i] Wenn Sprache aber das „Medium des Denkens und der Weltauffassung“ war, drängte sich sofort die Frage auf, inwieweit einzelne Sprachen das Denken ermöglichen oder einschränken.

Von dieser Überlegung ausgehend schuf Humboldt eine Theorie, die Sprachen nach drei vermeintlichen Entwicklungsstufen klassifiziert: Isolierende Sprachen, wie das Chinesische oder Thai, stellen die unterste Stufe dar. Sie kennen keine Flexionen; alle Wörter sind unveränderlich und grammatische Unterscheidungen werden zumeist durch feste Wortstellungen ausgedrückt. Nach Humboldts Vorstellung muss die fehlende grammatische Struktur vom Sprecher hinzugedacht werden, was den Gedankenfluss verlangsamt. Agglutinierende Sprachen, zu denen etwa das Türkische und das Ungarische zählen, stellen die nächsthöhere Entwicklungsstufe dar. Sie beruhen auf dem Prinzip, dass grammatische Unterscheidungen, wie Fälle, Anzahl der Personen oder Zeiten durch an den Wortstamm angefügte Affixe (meist in Form von Vor- und Nachsilben) zum Ausdruck gebracht werden. Die höchste Form der Entwicklung haben die flektierenden Sprachen erreicht, zu denen die indoeuropäische und semitische Familie zählen. Während in den agglutinierenden Sprachen jede grammatische Kategorie wie Genus, Kasus oder Numerus durch selbstständige, aneinandergereihte Affixe zum Ausdruck gebracht wird, fusionieren die flektierenden Sprachen die verschiedenen Kategorien in einem gemeinsamen Affix. Humboldts Typologie ordnet jeder Sprache eine „historische Bedingung des Denkens“ zu, wobei in der Realität alle natürlichen Sprachen Mischformen sind, die sich den drei Idealtypen nur mehr oder minder annähern.

Humboldt war sich natürlich bewusst, dass eine Einteilung, die für jede neue Entwicklungsstufe eine höhere Beweglichkeit des Geistes unterstellt, nicht erklären kann, warum trotz der offenbaren Simplizität ihrer Grammatik die Chinesen eine hoch entwickelte Kultur hervorgebracht hatten. Auch die auffälligen isolierenden Tendenzen einiger indogermanischer Sprachen, insbesondere des Englischen, passten nicht in dieses Bild. Humboldt versuchte daher, seine Theorie durch die Vorstellung zu retten, dass ein durch eine entwickelte Sprache beweglich gemachter Geist in der Lage sei, komplexe grammatische Sachverhalte auch ohne Flexionen zu erfassen. Nachdem die Sprache den Geist gleichsam über die verschiedenen Entwicklungsstufen in die Höhe gezogen habe, sei es diesem nun wieder möglich, sich einer einfacheren Grammatik zu bedienen.
In welchem Verhältnis steht die Sprache zur Welt?
Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Grundlagen der historisch-vergleichenden Sprachforschung gelegt: William Jones hatte die indogermanische Sprachfamilie entdeckt, der Franzose Jean-François Champollion die Hieroglyphen entziffert, Herder und Humboldt ihre Theorien zu Entstehung und historischer Entwicklung der Sprache vorgelegt und August Schleicher seine Stammbaumtheorie veröffentlicht. Erst Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Sprachforscher sich einer ganz neuen Frage zuzuwenden: In welchem Verhältnis stehen Sprache und Welt eigentlich zueinander? Der Schweizer Ferdinand de Saussure war einer der Ersten, der die Linguistik aus rein zeichentheoretischer Sicht betrachtete. Er führte hierzu die grundlegende Unterscheidung zwischen dem angeschauten Objekt (signifié, Signifikat, das Bezeichnete) und dem verwendeten Zeichen (signifiant, Signifikant, das Bezeichnende) ein. Der Baum als pflanzliches Gewächs ist das Signifikat, der Betrachtungsgegenstand als solcher. Die Zeichenfolge „Baum“ (baʊ̯m) ist ein Signifikant, ein dem Objekt letztlich willkürlich zugeordnetes Lautbild. Dass Sender und Empfänger sich über das Ding verständigen können, beruht allein auf einer Übereinkunft zwischen den Angehörigen einer Gruppe, die untereinander einen gemeinsamen Zeichenvorrat teilen. Da andere Sprachgemeinschaften andere Konventionen haben, heißt ein Baum bei ihnen daher boom, tree, abre, albero, 树, ដើមឈើ oder was auch immer sonst vereinbart wurde.

De Saussures Unterscheidung zwischen dem Bezeichneten und seiner Bezeichnung war ein erster pragmatischer Schritt auf dem Weg zur Klärung des Verhältnisses von Sprache und Wirklichkeit. Doch dieses einfache Modell hat eine Schwäche: Es sagt nichts darüber aus, ob Sprecher und Hörer auch ein gemeinsames Verständnis des betrachteten Objekts haben. 1923 stellten die beiden britischen Sprachwissenschaftler Charles Ogden und Ivor Richards ein Modell vor, das die bipolare Sicht de Saussures um diesen fehlenden Aspekt erweiterte: Das semiotische Dreieck unterscheidet zwischen dem Ding als solchem, dem ihm zugewiesenen Zeichen und dem Begriff, den wir uns von dem bezeichneten Ding machen.


Der Begriff ist das, was gemeint ist, die durch das Zeichen hervorgerufene mentale Repräsentation. Seine Interpretation kann bei jedem Menschen unterschiedlich sein und von der „Wahrheit“ oder einer lexikalischen Definition abweichen. Nur wenn Ding, Zeichen und Begriff – also das, was ist, wie man es nennt und was gemeint ist – übereinstimmen, ist die Bedeutung aus semantischer Sicht eindeutig geklärt.

Kommunikationsmodelle
Das Organonmodell, das der deutsche Psychologe und Linguist Karl Bühler 1934 vorstellte, ging noch einen Schritt weiter. Da es zusätzlich noch die Beziehung zwischen Sender und Empfänger berücksichtigt, geht es über reine Semiotik hinaus und wird damit zu einem Kommunikationsmodell. Botschaften werden aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet: Bei der Darstellungsfunktion steht die reine Informationsvermittlung im Sinne des semiotischen Dreiecks im Vordergrund. Bei der Ausdrucksfunktion teilt der Sender etwas über sich mit; seine Zeichen sind stets auch Symptome einer Selbstoffenbarung. Die Appellfunktion nutzt der Sender, um den Empfänger zu etwas aufzufordern. Der Aussagesatz „Es ist kalt im Zimmer“ mag auf der sachlichen Informationsebene bedeuten, dass die Raumtemperatur 15 Grad Celsius beträgt. Der Sprecher möchte damit aber vielleicht offenbaren, dass er friert und verbindet dies mit dem Appell an sein Gegenüber, die Heizung aufzudrehen. Das Zeichen ist bei Bühler nicht nur Symbol, sondern auch Symptom und Signal, wobei das Kind – so wie in Kennedys berühmter Rede – nicht immer beim Namen genannt wird.[ii] Meist steht bei der Botschaft eine der drei Dimensionen im Vordergrund, doch die beiden anderen schwingen stets mit. Ausdruck und Appell können nur verstanden werden, wenn Sender und Empfänger sich jeweils in die Sichtweise des anderen hineinversetzen können, also über eine „Theory of Mind“ verfügen. Dann können auch Ironie, Sarkasmus oder Hintersinn entschlüsselt werden.[iii]
Bühlers Bewusstmachung verborgener Kommunikationsebenen wurde in den 1960er Jahren wiederum durch den österreichischen Psychologen und Kommunikationstheoretiker Paul Watzlawick erweitert. Watzlawick definierte fünf Axiome der Kommunikation, von denen die ersten beiden lauten: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ und „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt“. Das erste Axiom stellt klar, dass Verständigung nicht allein an Sprache gebunden ist. Durch unsere Mimik und Gestik senden wir zu jedem Zeitpunkt Signale an unsere Umwelt wie wir uns befinden und was wir wollen. Auch Teilnahmslosigkeit ist ein Signal. Kurz: Wir kommunizieren immer. Das zweite Axiom besagt, dass neben der von Bühler beschriebenen Inhalts-, Darstellungs- und Appellfunktion stets auch das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger mitschwingt: Vertraut man sich? Steht man auf der gleichen sozialen Stufe? Wie denkt man über den anderen? Nimmt man ihn ernst? War das Lob vielleicht vergiftet?[iv]
Bestimmt unsere Sprache unser Denken?
1939 erregte der Artikel „Die Beziehungen des Gewohnheitsdenkens und des Verhaltens zur Sprache“ des amerikanischen Ingenieurs und Freizeit-Linguisten Benjamin Whorf in Fachkreisen einiges Aufsehen. Wohl ohne dessen Schriften gekannt zu haben, griff der Autor Humboldts Idee der Sprachabhängigkeit des Denkens erneut auf. Nach der „Sapir-Whorf-Hypothese“ ist jede Sprache eine ganz eigene Kartographie der Wirklichkeit, ein vorgegebenes Raster, das letztlich auch festlegt, was sich überhaupt denken lässt. Tatsächlich haben neuere Studien bestätigt, dass die Muttersprache maßgeblichen Einfluss darauf hat, wie grundlegende Dimensionen menschlicher Erfahrungen, wie Raum, Zeit, Kausalität und die Beziehung zu anderen wahrgenommen werden. Die in Nordaustralien gesprochene Aborigine-Sprache Kuuk Thaayorre, kennt keine relativen Raumbeziehungen wie links oder rechts, sondern nur das absolute Nord, Süd, Ost, West. Aufgrund des fehlenden relativen Bezugs müssen ihre Sprecher sich also stets über die Himmelsrichtungen im Klaren sein und tatsächlich verfügen sie im Vergleich zu Sprechern anderer Sprachen über ein deutlich besseres Orientierungsvermögen. In diesem Fall sieht es so aus, als ob eine kognitive Fähigkeit durch eine spezifische Sprachstruktur erzwungen wurde.[v]

Wörter wie Sonne, Mond oder Brücke haben in den romanischen Sprachen jeweils das gegenteilige Geschlecht wie im Deutschen. Werden deutsche Muttersprachler gebeten, eine Brücke zu beschreiben, greifen sie typischerweise auf Attribute wie „schön“ oder „elegant“ zurück. Sprecher romanischer Sprachen hingegen nennen bevorzugt typisch männliche Eigenschaften wie „stark“ oder „mächtig“. Neben solchen grammatikabhängigen Konnotationen kennt jede Sprache zahlreiche Ausdrücke, die in anderen Sprachen nicht einfach so „gedacht“ werden können. Die deutschen Wörter „Heimat“, „Fernweh“, „Wanderlust“, „Waldeinsamkeit“ oder „Schadenfreude“ haben im Englischen, Französischen, Spanischen und Italienischen keine direkte Entsprechung und können dort jeweils nur wortreich umschrieben werden (im Englischen würde eine Umschreibung für Schadenfreude etwa lauten: "pleasure derived by someone from another person's misfortune"). Je abstrakter ein Begriff, umso grösser die Wahrscheinlichkeit, dass vermehrt unterschiedliche kulturelle Dimensionen mitschwingen. Die verschiedenen lexikalischen Definitionen gerade des Wortes „Kultur“ im Deutschen, Englischen und Französischen sind ein gutes Beispiel hierfür; die italienische Übersetzung von „Völkerwanderung“ – „invasioni barbariche“ – macht zudem deutlich, dass Vieles auch einfach nur eine Frage der Perspektive ist.

Wie universell ist unsere Kommunikation?
In völligem Gegensatz zu Whorfs sprachlichem Determinismus befinden sich die Thesen des amerikanischen Linguisten Noam Chomsky. Seine in den 1950er Jahren entwickelte Theorie einer universellen Grammatik geht davon aus, dass das menschliche Gehirn über ein angeborenes kulturunabhängiges Modul verfügt, das den Spracherwerb nach einem stereotypen Regelwerk organisiert. Die Unterschiede zwischen den Sprachen der Welt sind demnach letztlich oberflächlich.[vi] Dass während der ersten acht oder neun Lebensjahre jedes Kind jede beliebige Sprache erlernen kann, ist gemäß Chomsky nur möglich, weil allen natürlichen Sprachen ein gemeinsames grammatisches System zugrunde liegt und nur noch die spezifische Konfiguration der jeweiligen Sprache erlernt werden muss.

Chomsky zufolge würde ein außerirdischer Wissenschaftler feststellen, dass alle Erdlinge nur unterschiedliche Dialekte derselben Sprache sprechen.[vii] Belege sehen Chomsky und die Verfechter seiner These insbesondere beim kindlichen Spracherwerb, der intuitiv unsinnige grammatikalische Konstrukte vermeidet, sowie in Sprachuniversalien, also Strukturen, die alle Sprachen miteinander teilen .[viii]
Whorfs und Chomskys Theorien stellen heute unter Linguisten heiß umstrittene Extrempositionen dar. Ein wichtiger Einwand gegen Whorfs These ist, dass es trotz aller sprachspezifischen Ausdrücke letztlich kein Problem ist, das zugrundeliegende Konzept eines Wortes auch Sprechern einer anderen Sprache zu vermitteln. Schließlich empfinden auch Japaner oder Peruaner Schadenfreude. Ebenso sind wir in der Lage, die Unterscheidung der englischen Wörter „if“ und „when“, die im Deutschen beide mit „wenn“ übersetzt werden können, zu verstehen und korrekt zu verwenden.[ix]
Gegen Chomskys These spricht zunächst der offenbare Mangel an echten Sprachuniversalien. Des Weiteren sehen viele Linguisten gar keine Notwendigkeit für eine solche Theorie; die dem Spracherwerb zugrundeliegenden kognitiven Prozesse seien bekannt und erklären das Phänomen hinreichend genau. Zudem verändere sich Sprache durch die kulturelle Evolution wesentlich schneller als durch die Biologie; es sei daher nicht erklärbar, wie und warum Spracherwerb genetisch fixiert worden sein soll.[x]
Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt: Wittgensteins Sprachphilosophie
Zwei ganz andere Betrachtungen der Sprache verdanken wir dem österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein. Sein Anknüpfungspunkt war Freges Unterscheidung von „Sinn“ und „Bedeutung“. Wittgensteins erste Abhandlung, den Tractatus Logico-Philosophicus, verfasste der studierte Ingenieur während des Ersten Weltkriegs in einem Schützengraben. Darin behandelt er den Zusammenhang von Sprache, Denken und Wirklichkeit auf einer streng logischen Grundlage. Der Tractatus beginnt mit einer Reihe von Feststellungen: „1. Die Welt ist alles was der Fall ist. […] 1.2: Die Welt zerfällt in Tatsachen. […] 2. Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten. […] 3. Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke […] 4. Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.“[xi]
Da wir unser Denken nur durch Sprache zum Ausdruck bringen können, war

Wittgenstein überzeugt, dass wir keine Metaphysik oder Erkenntnistheorie betreiben können, ohne vorher Sprachkritik betrieben zu haben. Nicht alle Sätze, die möglich sind, stellt Wittgenstein fest, leisten einen sinnvollen Beitrag, zum Verständnis der Realität. Sinnvoll sind nur Sätze, die aufgrund bestehender Sachverhalte als wahr oder falsch bestätigt werden können, etwa die Behauptung: „Draußen scheint die Sonne“. Tautologien wie: „Draußen scheint die Sonne oder draußen scheint die Sonne nicht“ sind sinnlos. Sie sagen nichts aus, da sie immer sowohl wahre als auch falsche Anteile enthalten und keine Realität benötigen. Neben sinnlosen gibt es auch unsinnige Sätze: „Der Satz, den ich hiermit ausspreche, ist falsch“ ist in der Wittgensteinschen Logik Unsinn, weil er kein vernünftiges Bild von den Tatsachen der Welt liefert und es keine Wirklichkeit gibt, anhand derer sich der Wahrheitsgehalt überprüfen ließe. Es ist schlichtweg zwecklos über sinnlose und unsinnige Dinge zu sprechen.[xii] Daraus ergibt sich aber eine geradezu dramatische Konsequenz: Da Philosophie keine Naturwissenschaft ist, lassen sich auch ihre Behauptungen nicht an der Realität überprüfen; sie sind damit weder wahr noch falsch. Das aber macht die ganze Philosophie letztlich sinnlos. Die Möglichkeiten einer sinnhaften Weltbeschreibung fasste Wittgenstein in seinen beiden bekanntesten Zitaten zusammen: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“. Und: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“[xiii]
Etliche Jahre später revidierte Wittgenstein diese radikale Position allerdings. Seine zeitweise Arbeit als Volksschullehrer hatte dem strengen Ingenieur bewusstgemacht, dass der konkrete tägliche Gebrauch von Sprache nicht mit den Aussagen seines Tractatus vereinbar war. Die Nützlichkeit der Worte liegt nicht darin, dass sie die Welt beschreiben, sondern darin, dass sie uns erlauben uns mitzuteilen. In seinem Spätwerk, den „Philosophischen Untersuchungen“ stellte er daher fest: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“[xiv] Wenn Bedeutungen aber unscharf sind, können sie auch keinen rational-logischen Ansprüchen gerecht werden. Letztlich ist die Sprache ein Spiel, das funktioniert, weil man sich auf bestimmte Regeln – Zeichen für die Dinge und Syntax des Satzbaus – geeinigt hat. Nur wer die Regeln kennt, kann an dem Spiel teilnehmen und seine Ideen mitteilen.
Es ist demnach müßig in der Sprache einen tieferen Zweck zu suchen, oder aus ihr ein vollkommenes Weltbeschreibungswerkzeug formen zu wollen. Wittgenstein illustriert die Grenzen objektiver Beschreibbarkeit am Beispiel des Wortes „Spiel“. Es gibt Brettspiele, Ballspiele, Kampfspiele, Theaterspiele, Kinderspiele, Olympische Spiele. Nicht immer geht es um Gewinnen und Verlieren, nicht immer muss man zu mehreren spielen, nicht immer geht es um Geschicklichkeit oder um Glück. Letztlich findet sich kein Merkmal, das allen Spielen gemein ist. Dennoch wissen wir, was ein Spiel ist und was nicht. Die Begriffe sind durch eine „Familienähnlichkeit“ miteinander verbunden, ohne dass es möglich wäre, diese Ähnlichkeit genau zu erfassen.
Manche sehen in Wittgensteins Ausloten sprachlicher Grenzen einen der letzten Höhepunkte der abendländischen Philosophiegeschichte. Doch wo nahm das systematische Denken seinen Anfang und wie hat es sich seitdem entwickelt? Die Spurensuche führt uns einmal mehr ins antike Griechenland.
(Die im Artikel erwähnte Sprachtheorie von Johann Gottfried Herder ist hier ausführlicher beschrieben).
Wer mehr wissen will:
Humboldt, Wilhelm von (1836) „Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java“.
Saussure, Ferdinand de (1967): „Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft“, De Gruyter.
Bühler, Karl. (1934): „Sprachtheorie. Die Darstellung der Sprache“, Fischer.
Steiner, George (1972): „Whorf, Chomsky and the Student of Literature”, New Literary History Vol. 4, No. 1, Seiten 15-34.
Dabrowska, Ewa (2015): "What exactly is Universal grammar, and has anyone seen it?, Frontiers in Psychology 6, Article 852.
Deutscher, Guy (2010): „Through the language glass“, Metropolitan Books.
Wittgenstein, Ludwig (1922) „Tractatus logico-philosophicus”, tractatus-online.appspot.com.
Wittgenstein, Ludwig (2003) „Philosophische Untersuchungen”, Suhrkamp.
Bildnachweise:
[i] Humboldt (1836) S. 53.
[ii] Vgl. Bühler (1934) S.28.
[iii] Es gibt ein für Sarkasmus zuständiges Gehirnareal. Menschen, bei denen dieses Areal beschädigt ist, können sarkastische Anspielungen nicht verstehen.
[iv] Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun erweiterte Bühlers Modell um Watzlawicks Beziehungsaspekt zu einem vierdimensionalen Modell mit den Seiten „Selbstoffenbarung“, „Sachebene“, „Appell“ und „Beziehung“.
[vi] Vgl. Steiner (1972) S. 15.
[vii] Vgl. Deutscher (2010) S.6.
[viii] Vgl. Dabrowska (2015), S.2 f.
[ix] Vgl. Deutscher (2010) S. 14 f, 147.
[x] Vgl. Dabrowska (2015) und Tomasello (2003)
[xi] Wittgenstein (1922).
[xii] Damit zeigt Wittgenstein ein anderes Verständnis von Logik als bis heute in der Mathematik üblich: neben den binären Kategorien „wahr“ und „falsch“ gibt es auch noch die Kategorien „sinnlos“ und „unsinnig“
[xiii] Wittgenstein (1922) 5.6; 7.
[xiv] Wittgenstein (2003) S. 40.