Weltbilder
Der Wunsch, unsere merkwürdige Welt verstehen zu wollen, ist so alt wie die Menschheit. Wir suchen nach Erklärungen, letztlich weil wir Halt und Orientierung benötigen. Aus Annahmen und Überzeugungen, die uns plausibel erscheinen, formen wir Weltbilder, unsere persönlichen Vorstellungen über die Beschaffenheit des Universums. Das kann ein religiöser Mythos sein, wie die hinduistische Auffassung, dass der Kosmos auf dem Rücken von vier Elefanten ruht. Genauso aber können wir auch das Standardmodell der Elementarteilchenphysik oder einen unerschütterlichen Glauben an den Marxismus zu Grundlage unseres Weltbildes machen. Keine dieser Ideen ist lächerlich, sie alle beruhen auf nachvollziehbaren Überlegungen.
Kategorien des Wissens
In diesem Blog möchte ich alldem nachspüren. Das geht mal in die Breite, mal in die Tiefe. Sucht man nach „Schubladen“, um die verwirrende Vielzahl der Phänomene in diesem Universum etwas zu ordnen, landet man über kurz oder lang bei den Kategorien Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Naturgeschichte, Bewusstsein, Sprache, Philosophie, Gesellschaft, Ökonomie und Menschheitsgeschichte. Diese zunächst lang erscheinende Liste von elf Disziplinen lässt sich letztlich zwei großen Feldern zuordnen: Bei Physik, Chemie und Biologie geht es um die Natur. Bei Sprache, Philosophie, Gesellschaft und Ökonomie geht es um den Menschen. Natur und Mensch stehen sich in dieser Ordnung zunächst einmal gegenüber. Aber auch der Mensch ist ein Produkt der Natur (biologisch gesehen gehört er zu der Unterordnung der Trockennasenprimaten.) Was uns von anderen Lebewesen unterscheidet, ist, dass wir uns unserer eigenen Existenz bewusst sind. Das Bindeglied zwischen Natur und Geist ist unser Bewusstsein. Und dann ist da noch die Mathematik, die manche für eine Natur-, manche für eine Geisteswissenschaft halten. Wie wir im nächsten Blog sehen werden, haben beide Lager für ihre Positionen jeweils gute Gründe, so dass die Mathematik tatsächlich in einem Nirwana zwischen Natur und Geist zu schweben scheint.
Auch wenn die meisten Themengebiete zunächst nach Schulfächern klingen: Ich möchte kein Schulwissen verbreiten, sondern versuche der Frage nachzugehen, worum es bei all diesen Disziplinen wirklich geht und welchen Beitrag sie zur Welterklärung leisten können: Was ist das Wesen der Mathematik? Welche Wissenslücken hat die heutige Physik? Ist die Evolution ein Naturgesetz? Was bedeutet Zufall? Welche Grenzen setzt uns die Sprache? Was können wir überhaupt wissen? Was ist Gerechtigkeit? Hat die Menschheitsgeschichte ein Ziel?
Verbindungen
Die Wissenskategorien stehen nicht zusammenhanglos nebeneinander: „Wer ernsthaft die Wahrheit der Dinge ergründen will, darf sich keiner einzelnen Wissenschaft verschreiben, denn alle Teile der Wissenschaft stehen im Verbund wechselseitiger Abhängigkeit“. Der französische Philosoph René Descartes, von dem dieses Zitat stammt, bringt es auf den Punkt. In unserer hochgradig arbeitsteiligen Welt sind wir alle Experten und häufen im Laufe der Jahre dabei oftmals ein bemerkenswertes Detailwissen an. Doch Experten sind wir eben nur in relativ kleinen Unterkategorien bestimmter Wissensbereiche – es ist schlichtweg unmöglich, dieses Wissen auf alle Bereiche auszudehnen.
Das ist ein Problem, denn außerhalb unserer Komfortzone prasseln astronomische Mengen an Informationen auf uns ein und wir haben alle Mühe, sie richtig einzuordnen. Der amerikanische Trend- und Zukunftsforscher John Naisbitt hat es so formuliert: „Wir ertrinken in Informationen und hungern nach Wissen“.
Um die Informationsflut einordnen, filtern und sortieren zu können, benötigen wir so etwas wie Grundlagenwissen in all den erwähnten Wissenskategorien (was nicht ausschließen soll, dass es auch weitere sinnvolle Kategorien geben kann.) Es gibt heute eine Reihe zentraler Theorien und Ideen, die den aktuellen Wissenschafts- und Politikbetrieb prägen. Sie bestimmen, wie wir typischerweise die Welt um uns herum begreifen. Viele dieser Ansichten kennen wir dem Namen nach: die Relativitätstheorie, die Evolutionstheorie, die „Kritik der reinen Vernunft“ oder den Liberalismus. Unsere Vorstellungen, was sich dahinter genau verbirgt, bleiben dabei allerdings oftmals vage.
Das „große Ganze“
Sind diese Grundlagen gelegt, hat man eine gute Basis, um selbst Zusammenhänge herzustellen und sich im Idealfall das Verständnis des „großen Ganzen“ zumindest ansatzweise zu erarbeiten. Dabei ist es wichtig, sich klarzumachen, dass die zentralen Theorien und Ideen keinesfalls stimmen müssen. Ich versuche lediglich, die herrschenden Meinungen – sie prägen unser Leben stärker, als es uns bewusst ist – darzustellen und dort, wo es sinnvoll und möglich erscheint, auch Verbindungen aufzuzeigen (beispielsweise dürfte nur wenigen bekannt sein, dass Darwins Evolutionstheorie auch durch eine Theorie des englischen Nationalökonomen Thomas Malthus beeinflusst wurde.)
Während lediglich vier grundlegende Theorien die Phänomene der Natur weitgehend erklären – Newtons Mechanik, die allgemeine Relativitätstheorie, die Quantenphysik und die Evolutionstheorie – ist die Ausgangslage nicht mehr so einfach, wenn wir den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Schuld daran ist unser Bewusstsein, denn es befähigt uns nicht nur zu fragen, wie etwas ist, sondern auch, wie etwas sein soll.
Verständlicherweise gehen die Meinungen hierzu auseinander. Es gibt keine allgemein akzeptierten Vorstellungen, die beschreiben, wie unsere Psyche funktioniert oder wie eine ideale Gesellschaft organisiert und Wohlstand verteilt werden soll. Wenn wir die Dimensionen des Menschseins beschreiben wollen, spielen Glaube, moralische Standpunkte, Menschenbilder, Werturteile und Zielkonflikte eine zentrale Rolle (ein sehr grundlegender Zielkonflikt ist etwa, wie wir noch sehen werden, der zwischen Freiheit und Gleichheit.) Die Auswahl der in diesem Blog behandelten Ideen und Ideologien ist somit zwangsläufig subjektiv. Ich versuche mich dabei primär an der faktischen Wirkmacht zu orientieren, die diese Ideen im Lauf der Menschheitsgeschichte entfaltet haben. Wie erwähnt, sagt das zunächst noch nichts über ihre Richtigkeit aus.
Entwicklungen
Unsere heutigen Welterklärungsmodelle sind nicht vom Himmel gefallen, sondern stellen vorläufige Ergebnisse einer Entwicklungsgeschichte dar: Ohne Ptolemäus kein Kopernikus; ohne Kopernikus kein Kepler; ohne Kepler kein Newton; ohne Newton kein Einstein. Genauso wenig ist die heutige (westliche) Philosophie ohne die Fundamente denkbar, die Sokrates, Platon und Aristoteles vor über 2000 Jahren gelegt haben. Um die heute herrschenden Weltbilder zu verstehen, müssen wir ihre historische Entwicklung, samt Irrungen und Wirrungen, nachvollziehen. Insofern wird sich dieser Blog auch immer wieder mit Wissenschaftsgeschichte beschäftigen.
Wie geht es weiter?
Ich möchte versuchen, im wöchentlichen Rhythmus meine Gedanken mit Euch in diesem Blog zu teilen. Dabei werde ich zunächst jeweils etwas zum Wesen der elf verschiedenen Wissenskategorien sagen. Die von mir oben genannte Reihenfolge ist nicht zufällig, sie baut inhaltlich aufeinander auf. Zum Beispiel kann man Chemie nicht ohne physikalische Grundlagen verstehen; Philosophie nicht, ohne sich mit den Beschränkungen der Sprache auseinandergesetzt zu haben und die Organisation eines Wirtschaftssystems nicht, ohne zuvor Annahmen über das Wesen der menschlichen Natur zu treffen. Wo es sich anbietet, werde ich auch auf die von mir verwendete Literatur verweisen, für alle, die vielleicht tiefer in ein bestimmtes Thema einsteigen wollen.
Ansonsten freue ich mich auf den Dialog mit Euch. Ihr habt die Möglichkeit öffentlich oder nicht öffentlich Kommentare mit Kritik, Wünschen, Fragen und Bemerkungen zu hinterlassen. Sollte es Interesse geben, können wir gerne auch gemeinsame Foren und oder Gruppen zu bestimmten Themen organisieren. Wer mag, kann den Newsletter abonnieren, ihr erhaltet dann eine automatische Benachrichtigung, wenn der nächste Blog erschienen ist. Wenn es Euch gefällt, empfehlt den Blog gerne weiter…
Jens
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